Rz. 115

Die Schuldrechtsreform wollte zunächst nicht dem Käufer sondern dem Verkäufer das Wahlrecht zwischen den Nacherfüllungsansprüchen gewähren.[274] Hiervon ist der Gesetzgeber abgewichen, weil für den Verbrauchsgüterkauf (Unternehmer an Verbraucher, vgl. § 14 Rdn 1 ff.) das umgekehrte Wahlrecht von der Verbrauchsgüterrichtlinie vorgeschrieben wurde und zur Vereinheitlichung dann die Regelung für alle Kaufverträge normiert wurde.

 

Rz. 116

Aus diesem für den Verkäufer ungünstigen "Sinneswandel" folgte eine gewisse Tendenz, das Ablehnungsrecht großzügig zugunsten des Verkäufers auszulegen, um Unbilligkeiten auf Seiten des Verkäufers zu vermeiden.[275] Die Gegenansicht[276] folgert aus der Anbindung des Ablehnungsrechts an die Unverhältnismäßigkeit der Kosten (statt der Aufwendungen) den Ausnahmecharakter des Ablehnungsrechts des Verkäufers und plädiert aus der Notwendigkeit einer der Verbrauchsgüterkaufsrichtlinie konformen Auslegung für eine Annäherung der Kriterien an die der Unmöglichkeit und des groben Missverhältnisses i.S.d. § 275 Abs. 2 BGB.[277]

 

Rz. 117

Die Abwägung hat nicht abstrakt zu erfolgen, sondern muss die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen,[278] insb. auch das Ausmaß und die Erheblichkeit des Mangels.[279] Das Fehlen einer eigenen Werkstatt allein berechtigt den Verkäufer noch nicht zur Ablehnung, da Reparaturleistungen auf dem Markt zugekauft werden können.[280] Die Gesetzesbegründung[281] spricht aber davon, dass den Verkäufer in diesem Fall in der Regel die Kosten unverhältnismäßig belasten. Dem kann so pauschal nicht zugestimmt werden.[282] Die Alternativen (Rücktritt und Reparatur vor nochmaligem Weiterverkauf oder Minderung bzw. Schadensersatz) verursachen dem Verkäufer ähnlich hohe Kosten. Im Übrigen hat der Käufer häufig am gekauften Pkw ein besonderes Erfüllungsinteresse, also den Wunsch, diesen vielleicht lang und aufwendig gesuchten und mühsam gefundenen Pkw auch zu behalten.

 

Rz. 118

Einzubeziehen in die Betrachtung ist vom Standpunkt derer, die den Erfüllungsort am Belegenheitsort der Sache, also beim Käufer sehen (vgl. Rdn 87 ff.), auch der Aufwand des Verkäufers, der ihm zusätzlich daraus entsteht, dass er die Reparatur dort erbringen muss, wo sich das Fahrzeug gerade befindet. Ist ihm dies unzumutbar, kann der Käufer die Zumutbarkeit dadurch schaffen, dass er den Transport in die Werkstatt anbietet oder diesen finanziert.[283]

 

Rz. 119

Der Gesetzgeber bezieht in die Betrachtung zwar die alternativen Käuferrechte (Rücktritt und Minderung) nicht ausdrücklich mit ein.[284] In dem er aber eine Betrachtung des Wertes der mangelfreien Sache und der Bedeutung des Mangels verlangt, spricht einiges dafür, die konkrete Prüfung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Kosten letztlich durch einen Vergleich mit dem Minderungsbetrag vorzunehmen, den der Käufer sonst durchsetzen könnte.[285]

 

Rz. 120

Eine Festlegung auf starre prozentuale Grenzwerte ist mit Rücksicht auf die verschiedenen ineinander greifenden Kriterien, insbesondere dem Maß des Vertretenmüssens des Verkäufers (siehe Rdn 113), schwer möglich.[286]

 

Rz. 121

Folgende Überlegungen in dieser Richtung wurden bisher angestellt:

Bei nicht zu vertretenden Mängeln wird absolute Unverhältnismäßigkeit bejaht, wenn die Nacherfüllungskosten 150 % des Wertes der Sache in mangelfreiem Zustand oder 200 % des mangelbedingten Minderwertes übersteigen.[287] Nach a.A.[288] sind Nacherfüllungskosten von nicht mehr als 100 %, bei Verschulden 130 % des Wertes der mangelfreien Sache zuzumuten, die Bedeutung des Mangels spielt dagegen keine Rolle.

 

Rz. 122

Eingetreten wird auch für eine nach dem Maß des Vertretenmüssens abgestufte Prozentgrenze von 105 % bis 145 % des Interesses des Käufers an der Nacherfüllung.[289]

 

Rz. 123

Soweit auf den Minderungsbetrag abgestellt wird,[290] der angemessen um ca. 20 % zu erhöhen sei,[291] ist dem entgegenzuhalten, dass der Minderungsbetrag zu niedrig ist und die Opfergrenze deutlich höher angesetzt werden muss, damit der Nacherfüllungsan­spruch nicht leer läuft.

 

Rz. 124

Berücksichtigt man, dass der Nacherfüllungsanspruch durch die Nachrangigkeit der anderen Rechte ähnlich wie im Werkvertragsrecht auch ein Nachbesserungsrecht zugunsten des Verkäufers darstellt, erscheint es systemwidrig, die Anforderungen für das Ablehnungsrecht zu hoch zu schrauben. Der Käufer ist durch die Rechte auf Rücktritt, Minderung und Schadensersatz bestens geschützt, die Nachbesserung erweitert seine rechtlichen Möglichkeiten nur. Es ist kein besonderes Bedürfnis zu erkennen, den Käufer mit besonders starkem Nachdruck zum Nacherfüllungsrecht zu verhelfen. Wird nicht erfüllt, fällt er "weich" in die bewährten Sachmängelansprüche und zwar unabhängig davon, ob die Ablehnung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist.

 

Rz. 125

Die hieraus herzuleitende Zumutbarkeitsgrenze für den Verkäufer sollte dort liegen, wo seine Aufwendungen den Betrag, den er im Falle des Rücktritts oder der Minderung verlieren würde, maßvoll übersteigen, und zwar um etwa 20...

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