BGH: Schadenersatz im Rückgewährschuldverhältnis

Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung einer Käuferin (Bauunternehmerin) den Rücken gestärkt, die nach Lieferung einer mangelhaften Kaufsache und Rücktritt vom Kaufvertrag von der Verkäuferin und Baustoffhändlerin (vergeblich) die Rücknahme dieser Sache verlangte.

Nach dem Senat kann – jedenfalls im Einzelfall – die Weigerung der Rücknahme des mangelhaften Kaufgegenstands als Verletzung von Rücksichtnahmepflichten zu einem Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB führen.

Hintergrund

Der BGH-Entscheidung lag eine Klage einer Bauunternehmerin über die Lieferung von Recycling-Schotter zu Grunde, bei dem sich später eine Belastung mit Arsen zeigte, die die zulässigen Grenzwerte überschritt.

Die Klägerin (Bauunternehmerin) wurde von einer Immobilien GmbH & Co. KG (Bauherrin) beauftragt, auf einem angemieteten Grundstück einen Park- und Containerverladeplatz zu errichten. Hierfür bestellte die Klägerin im März 2012 bei der Beklagten (Baustoffhändlerin) rd. 22.000 Tonnen Recycling-Schotter zur Verwendung als Unterbau zu einem Kaufpreis von rd. 156.000 €. Die beklagte Baustoffhändlerin bezog dieses Material von einer Baustoffvertriebsgesellschaft, welche es ihrerseits bei einer Herstellerin bestellte.

Die Herstellerin lieferte den Recycling-Schotter im Juni 2012 im Auftrag der Beklagten unmittelbar an die Baustelle der Klägerin, wo er von dieser eingebaut wurde. Die Klägerin zahlte den vereinbarten Kaufpreis an die Beklagte.

Im Zuge der Errichtung einer Halle auf dem Grundstück im Jahr 2016 stellte sich heraus, dass der eingebrachte Recycling-Schotter über den gesetzlich zulässigen Grenzen mit Arsen belastet war. Diesen Anfangsverdacht der Arsen-Belastung zeigte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 30.9.2016 auch an und bat zudem um Übersendung der Prüfzeugnisse für den Recyling-Schotter im Zeitraum der Lieferung.

Die Klägerin verpflichtete sich im Juli 2017 (im Rahmen eines gegen sie geführten Rechtsstreits) durch Prozessvergleich gegenüber der Grundstückseigentümerin und der Bauherrin zur Entfernung und Entsorgung des Recycling-Schotters sowie zur fachgerechten Einbringung neuen Schotters und Erstellung eines neuen Pflasters.

In der Folge nahm die Klägerin ihrerseits Regress bei der Beklagten und verlangte neben der Rückzahlung des Kaufpreises und dem Ersatz der Mehrkosten für die Beschaffung von neuem Recycling-Schotter von der beklagten Verkäuferin auch die Abholung des von ihr (der Klägerin) bereits teilweise ausgebauten und auf dem Gelände zusammengeschobenen belasteten Recycling-Schotters von der früheren Baustelle. Die Beklagte erfüllte die Forderung nach Abholung nicht, so dass die Klägerin den belasteten Recycling-Schotter selbst entsorgte. Auch hierfür verlangte sie erstinstanzlich und anschließend vor dem OLG Zweibrücken ohne Erfolg Ersatz der Kosten.

Das OLG Zweibrücken ließ die Revision der Klägerin zum BGH „beschränkt auf die Frage“ zu, ob nach Rücktritt vom Kaufvertrag eine verschuldensunabhängige Rechtspflicht des Rücktrittsgegners zur Rücknahme der Kaufsache bestehe. Der BGH kam in seiner Entscheidung – anders als die Vorinstanz – u.a. zu folgenden Ergebnissen:

  1. Vertretenmüssen der Beklagten: Die Lieferung des mangelhaften Recycling-Schotters sei von der Beklagten zu vertreten. Die Beklagte müsse sich, wie die Vorinstanz richtig gesehen habe, ein etwaiges Verschulden der Herstellerin sowie der Baustoffvertriebsgesellschaft als Vorlieferantin zwar nicht gem. § 278 BGB zurechnen lassen, weil diese nicht Erfüllungsgehilfen der Beklagten seien. Sie treffe aber ein eigenes Verschulden an der Pflichtverletzung, denn die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der sie entlastenden Umstände obliege der Beklagten. Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB muss der Schuldner darlegen und ggf. beweisen, dass er eine Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Zur Führung des Entlastungsbeweises hiernach genügt es insoweit grundsätzlich, wenn der Schuldner darlegt und nachweist, dass Möglichkeiten eines eigenen Verschuldens nicht bestehen, weil er insoweit alle ihm obliegende Sorgfalt beachtet hat. Dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen.
  2. Erhöhte Sorgfaltspflichten der Beklagten: Von dem Verkäufer verlangt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zwar regelmäßig keine Untersuchung der Kaufsache. Höhere Anforderungen ergeben sich allerdings dann, wenn der Verkäufer eine Garantie übernommen hat (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn er Anhaltspunkte für die Mangelhaftigkeit der Sache hat oder wenn sonst besondere Umstände vorliegen, die eine höhere Sorgfalt gebieten (z.B. für den Verkäufer eines Gebrauchtfahrzeugs). Letzteres kann bei besonders hochwertigen oder fehleranfälligen Produkten oder dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine besondere Sachkunde besitzt oder aufgrund konkreter Anhaltspunkte Veranlassung hat, die Vertragsgemäßheit der Lieferung anzuzweifeln. Der BGH bescheinigte dem Berufungsgericht hier aber fehlende Feststellungen dazu, ob und wie die Beklagte die Güte des angelieferten Recycling-Schotters ihrerseits geprüft habe. Aus der im Schreiben vom 30.9.2016 enthaltenen Bitte der Klägerin um „Übersendung der Prüfzeugnisse für den Zeitraum der Schotterlieferungen“ ergebe sich, dass die „seinerzeit“ vorgelegten Prüfzeugnisse jedenfalls nicht eine Prüfung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der konkreten Anlieferung des Materials auf der Baustelle der Klägerin betrafen. Die Beklagte konnte sich somit nach Ansicht des Senats – ohne weitere Feststellungen – nicht ohne Weiteres darauf berufen, sie habe auf die Richtigkeit der Prüfzeugnisse ebenso vertrauen dürfen wie auf ein redliches Verhalten der in die Lieferkette eingeschalteten Fachhändler für Baubedarf.
  3. Schadensersatz wegen Verletzung von Pflichten im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses: Anders als die Vorinstanz sah der BGH (nach dem unterstellt wirksamen Rücktritt vom Kaufvertrag) in der Weigerung der Beklagten, den von der Klägerin ausgebauten und auf der früheren Baustelle zum Zwecke der Rückgewähr nach § 346 Abs. 1 BGB bereitgestellten Schotter – wie von der Klägerin ausdrücklich verlangt – zurückzunehmen, jedenfalls unter den im Streitfall gegebenen besonderen Umständen eine Verletzung einer (auch) im Rückgewährschuldverhältnis bestehenden Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB. Dies führe somit zu einem Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses gem. § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 346 ff. BGB.
  4. Frage nach Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme bleibt offen: Offen lässt der Senat die in der Literatur umstrittene Frage, ob der Verkäufer im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses nach den Vorschriften der §§ 346 ff. BGB zur Rücknahme der Kaufsache verpflichtet ist und unter welchen Voraussetzungen ggf. eine solche Rücknahmepflicht besteht. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Senats zur Rechtslage vor der Neufassung des Kaufrechts sei für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs eine richtlinienkonforme Auslegung dahin erfolgt, dass die Verpflichtung des Verkäufers zur „Lieferung einer mangelfreien Sache“ auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache umfasst. Im vorliegenden Fall waren Klägerin und Beklagte aber beide Unternehmerinnen, sodass diese Rechtsprechung hier keine Anwendung fand. Auch die Gesetzesmaterialien hat der Senat zur Auslegung herangezogen, danach heißt es u.a. in der Begründung zum § 439 Abs. 6 Satz 2 BGB n.F. zwar, dass eine solche Rücknahmepflicht nicht gänzlich neu sei, „da sie sich schon nach geltendem Recht in vielen Fällen etwa aus § 242 BGB ergeben haben dürfte“. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Rücknahmepflicht des Verkäufers trifft indessen allein die Bestimmung zur kaufrechtlichen Nacherfüllung (§ 439 Abs. 3 BGB). Die Frage bedürfe jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da die Klägerin hier einen Schadensersatzanspruch begehrte, der sich im vorliegenden Fall schon aus einer Verletzung von Rücksichtnahmepflichten im Rückgewährschuldverhältnis ergeben könne.
  5. Rücksichtnahmepflicht kann im Einzelfall Rücknahme umfassen: Der BGH verweist darauf, dass insbesondere im Einzelfall (schon) der weitere Verbleib der – nach § 346 Abs. 1 BGB in Natur zurück zu gewährenden – Kaufsache beim Käufer bis zu ihrer Rücknahme durch den Verkäufer (aufgrund der an die tatsächliche Verfügungsgewalt und das zunächst noch fortbestehende Eigentum anknüpfenden Verantwortlichkeit für deren Zustand, Aufbewahrung und Behandlung) mit erheblichen (auch finanziellen) Belastungen für den Käufer verbunden sein könne. Erst recht gelte dies für eine ggf. gebotene Entsorgung der mangelhaften Kaufsache. Wenn sich die sonstigen, vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten für den Käufer (z.B. Aufwendungsersatz) als unzureichender Schutz erweisen, wird es nach dem BGH regelmäßig als Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht des Verkäufers anzusehen sein, wenn dieser die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr gem. § 346 Abs. 1 BGB angebotene Kaufsache nicht zurücknimmt, obwohl ihm die besondere Belastung des Käufers und die daraus folgende erhebliche Gefährdung seiner Rechte, Rechtsgüter und Interessen erkennbar geworden ist.
  6. Zumutbarkeit der Rücknahme: Die Annahme des mangelhaften Recycling-Schotters sei dem Verkäufer in einer solchen Fallkonstellation auch zumutbar, urteilte der Senat. In dem hier vorliegenden Fall, in dem nur die Rückgewähr der Kaufsache i.S.d. § 346 Abs. 1 BGB eine Verletzung des Integritätsinteresses auf Seiten des Käufers abwenden kann, habe das Interesse des Verkäufers, gleichfalls von der mit dem Besitz oder dem Eigentum an der nunmehr lästig gewordenen Kaufsache einhergehenden besonderen Belastung verschont zu bleiben, nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf den Zweck des Rückgewährschuldverhältnisses (§ 242 BGB) zurückzustehen. Denn nach der gesetzgeberischen Bewertung der beiderseitigen Interessen, sei die Kaufsache einschließlich der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Belastungen im Verhältnis der Kaufvertragsparteien zueinander mit der Umgestaltung in ein Rückgewährschuldverhältnis wert- und wertungsmäßig endgültig wieder dem Verkäufer zugewiesen.

Praxishinweis

Während im Falle der Nacherfüllung beim Kauf einer mangelhaften Sache im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs – auch bereits vor der gesetzlichen Normierung (sog. „Bodenfliesenfall“) – schon lange anerkannt ist, dass der Verkäufer gegenüber dem Verbraucher auch verpflichtet ist, die mangelhafte Sache ggfs. wieder aus- und eine mangelfreie Sache einzubauen und dem Käufer die Kosten hierfür zu erstatten, betraf der hier vorliegende Fall ein Rückgewährschuldverhältnis im B2B-Bereich. Der BGH hat offengelassen, ob auch im Rahmen eines Rückgewährschuldverhältnisses eine Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme bestehen kann. Er hat hier vielmehr (nur für einen Einzelfall) entschieden, dass die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten als Nebenpflicht (i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB) einen Schadensersatzanspruch auch im Rahmen eines B2B-Geschäfts begründen kann.

Was folgt daraus für die Praxis? Einerseits gibt der BGH einen Hinweis darauf, dass sich ein Lieferant nicht ohne Weiteres mit dem Hinweis auf sein Vertrauen in die Richtigkeit von Prüfzeugnissen und die Redlichkeit von Vorlieferant und Hersteller von seiner eigenen Verantwortung zur Überprüfung der gelieferten Sache freizeichnen kann. Ihn trifft diesbezüglich ein eigenes Vertretenmüssen. Insbesondere – dies dürfte keine Neuigkeit sein – muss der Lieferant im Zeitpunkt der Lieferung der Kaufsache Prüfzeugnisse vorlegen, die eine Prüfung der Sache in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Lieferung betreffen. Hier dürfte künftig eine größere Sorgfalt bei der Prüfung angezeigt sein, um sich so ggfs. von einer Haftung für Schadensersatz zu befreien. Hinsichtlich des konkreten Inhalts der Prüfzeugnisse verwies der BGH auch an die Vorinstanz zurück, die hier nach Auffassung des Senats keine hinreichenden Feststellungen getroffen hatte.

Entscheidend für den BGH war hier auch der Umstand, dass es sich um eine sehr große Menge an Recycling-Schotter (rd. 22.000 t) handelte, der Beklagten bekannt war, dass dieser aufgrund der hohen Arsen-Belastung nicht auf dem Grundstück verbleiben konnte und es für die Klägerin keine anderen Möglichkeiten gab, ihr Integritätsinteresse zu schützen. Es ist also möglich, dass der BGH in einem vergleichbaren Fall einer Käuferin keinen Schadensersatz gewähren würde, wenn diese ihr Interesse am Schutz ihrer konkreten Vermögenspositionen auf andere Weise etwa durch Geltendmachung von Aufwendungsersatz oder dem Ersatz von Mehraufwendungen für die Aufbewahrung und Erhaltung der Sache realisieren könnte. Gleichwohl sollte gerade bei umfangreichen Lieferungen von Kaufsachen mit hohen Werten künftig auf Verkäuferseite berücksichtigt werden, dass zu den Nebenpflichten im Rahmen eines Rückgewährschuldverhältnisses auch die Rücknahme und ggfs. Entsorgung der mangelhaften Sache gehören kann.

(BGH, Urteil v. 29.11.2023, VIII ZR 164/21)