Rz. 100
Von den zuvor dargestellten formellen Einwendungen sind die materiell(-rechtlich)en Einwendungen zu unterscheiden. Da das Zwangsvollstreckungsverfahren notwendigerweise formalisiert ist, ist für das jeweilige Vollstreckungsorgan grds. allein der Titelinhalt maßgeblich.M.a.W.: Das Vollstreckungsorgan überprüft grds. nicht, ob materiell-rechtliche Bedenken/Einwendungen gegen den titulierten Anspruch bestehen. Will der Bauherr/Schuldner Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst erheben, kann er das grds. nicht gegenüber dem Vollstreckungsorgan vorbringen, sondern muss dies vor dem Prozessgericht mit der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) machen. Die folgende Darstellung konzentriert sich einerseits auf die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO, mit der der Vollstreckungsschuldner materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst vorbringt (z.B. Aufrechnung, Erfüllung etc.). Ziel ist es, die Zwangsvollstreckung aus dem betreffenden Titel für unzulässig erklären zu lassen. Andererseits soll auch kurz auf die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO eingegangen werden, mit der die materiell-rechtliche Einwendung erhoben wird, dass die zu vollstreckende Sache im Eigentum eines Dritten und nicht des Schuldners steht. Mit der Drittwiderspruchsklage begehrt der Dritte ein Urteil, das die Vollstreckung in den betreffenden Gegenstand für unzulässig erklärt.
a) Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO
Rz. 101
Mit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erhebt der Schuldner materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst. Durch diese Klage wird der Vollstreckungstitel nicht beseitigt oder generell festgestellt, dass eine Vollstreckung aus dem Titel unzulässig ist; die Vollstreckungsabwehrklage ist nach h.M. als prozessuale Gestaltungsklage vielmehr darauf gerichtet, dem Vollstreckungstitel durch gerichtlichen Gestaltungsakt (nur) die Vollstreckbarkeit zu entziehen.
Rz. 102
Neben der Vollstreckungsabwehrklage kann eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) mit dem Ziel erhoben werden festzustellen, dass der titulierte Anspruch nicht mehr besteht (z.B. wegen Erfüllung). Einer solchen Feststellungsklage fehlt nicht etwa deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Schuldner auch nach § 767 ZPO vorgehen kann. Da die Vollstreckungsabwehrklage dem Titel "nur" die Vollstreckbarkeit nimmt, kann daher auch eine negative Feststellungsklage mit dem Ziel erhoben werden festzustellen, dass der titulierte Anspruch selbst nicht mehr besteht. Zu beachten ist aber, dass mit einem entsprechenden Feststellungsurteil dem Titel nicht die Vollstreckbarkeit genommen wird. Ist das Klageziel dagegen nicht darauf angelegt, die Vollstreckbarkeit des Titels zu beseitigen, so ist ausschließlich die Feststellungsklage statthaft, wenn allein die Reichweite des Titels gerichtlich geklärt werden soll.
Rz. 103
Ob nach der Leistung des Schuldners an den Gläubiger statt der Vollstreckungsabwehrklage eine Klage auf Herausgabe des Vollstreckungstitels analog § 371 BGB möglich ist, ist umstritten.
Rz. 104
Das Konkurrenzverhältnis von Vollstreckungsabwehrklage und Berufung ist wie folgt zu lösen: Grundsätzlich hat der Schuldner die Wahl zwischen der Einlegung einer Berufung oder einer Vollstreckungsabwehrklage, wenn die Einwendung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und vor dem Eintritt der Rechtskraft entstanden ist (arg. e. § 767 Abs. 2 ZPO). Nach Einlegung einer Berufung fehlt aber grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsabwehrklage, es sei denn, das Rechtsmittel wurde als unzulässig verworfen oder der Einwand, auf den die Vollstreckungsabwehrklage gestützt wird, steht im Berufungsverfahren nicht zur Prüfung. Umgekehrt ist die Berufung auch dann zulässig, wenn bereits zuvor eine Vollstreckungsabwehrklage erhoben worden ist. Das hat seinen Grund in den unterschiedlichen Zielrichtungen von Berufung und Vollstreckungsabwehrklage.
Rz. 105
Bei der Frage nach der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit für eine Vollstreckungsabwehrklage ist zu differenzieren: Richtet sich die Vollstreckungsabwehrklage gegen eine gerichtliche Entscheidung, ist ohne Rücksicht auf den Streitwert (!) das Prozessgericht des ersten Rechtszuges (§§ 76...