Rz. 40
Die Postulationsfähigkeit beschreibt die rechtliche Fähigkeit, vor dem Gericht zu verhandeln, wobei zur Verhandlung auch das Einreichen von Schriftsätzen gehört. Nicht postulationsfähige Parteien müssen sich von einem Anwalt oder entsprechenden Personen vertreten lassen.
1. Anwaltszwang
Rz. 41
Postulationsfähig sind vor den AG alle prozessfähigen oder ordnungsgemäß vertretenen Personen, sofern das AG nicht als Familiengericht tätig werden soll.
Der Prozess vor dem AG ist ein sog. Parteiprozess. In ihm können die Parteien selbst alle prozessual notwendigen, sinnvollen oder gewünschten Handlungen vornehmen. Sie können also selbst Klage erheben, den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt in Schriftsätzen vortragen, die Klage zurücknehmen, erweitern oder ermäßigen, die Hauptsache für erledigt erklären etc.
Rz. 42
Vor den Land- und Oberlandesgerichten sowie dem Bundesgerichtshof herrscht hingegen in allen Verfahren Anwaltszwang. Dies bedeutet, dass dort ausschließlich bei einem Amts- oder Landgericht zugelassene Anwälte verhandeln dürfen, nicht aber die Parteien selbst rechtlich wirksam tätig werden können. Man spricht hier vom Anwaltsprozess. In ihm kann die Partei selbst prozessual wirksame Handlungen, bspw. die o.g., nicht vornehmen.
2. Wirkung des Anwaltszwangs
Rz. 43
Der Anwaltszwang bewirkt, dass von den Parteien selbst vorgenommene Prozesshandlungen unwirksam sind. Zu beachten ist aber, dass Handlungen, die neben der prozessualen Wirkung auch eine materiell-rechtliche Bedeutung haben, hinsichtlich ihrer materiell-rechtlichen Bedeutung wirksam sind.
Beispiel:
A wird in einem Prozess vor dem LG Mainz, den er gegen B führt und in dem er von B 100.000,00 EUR verlangt, von Rechtsanwalt R vertreten. B bietet einen Vergleich an, nachdem er 20.000,00 EUR zu zahlen hätte. R rät dem A, den Vergleich nicht abzuschließen. A ist damit unzufrieden und entzieht dem R das Mandat. Er geht selbst zum Verhandlungstermin und lässt dort den Vergleich mit B, der anwaltlich vertreten ist, protokollieren.
Der Vergleich ist prozessual nicht wirksam, da A nicht anwaltlich vertreten war. Er wirkt jedoch materiell-rechtlich, da diese Wirkung eine Postulationsfähigkeit nicht voraussetzt. Da der Prozess durch den Vergleich also nicht beendet worden ist, der Vergleich jedoch materiell-rechtlich zu einer Veränderung des ursprünglichen Anspruchs geführt hat, kann A nunmehr nur noch 20.000,00 EUR verlangen. Der Prozess müsste dann noch beendet werden, durch Klagerücknahme oder beiderseitige Erledigungserklärung. Dies könnte der Kläger nicht ohne Anwalt machen, da er nicht postulationsfähig ist.
Rz. 44
Ist eine Partei vor einem Gericht nicht postulationsfähig, muss sie sich von einem Rechtsanwalt oder bei dem Gericht zugelassenen Rechtsbeistand vertreten lassen, wenn ihre Handlungen prozessuale Wirksamkeit entfalten soll. Tut sie dies nicht, ist ihr gesamtes prozessuales Handeln unbeachtlich. Erhebt also eine nicht postulationsfähige Partei Klage, ist diese unbeachtlich und unterliegt daher der Abweisung als unzulässig. Wird eine nicht postulationsfähige Partei verklagt und bestellt sich für sie kein zugelassener Anwalt, wird die beklagte Partei so behandelt, als hätte sie keine Verteidigungsbereitschaft angezeigt und auf die Klage nicht erwidert. Es kann dann gegen sie Versäumnisurteil ergehen, wenn die Klage zulässig und schlüssig ist.