Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 30
Das gesetzliche Pflegeversicherungsrecht kennt als eine Leistung das Pflegegeld nach § 37 SGB XI, das an die pflegebedürftige Person ausgezahlt wird und auf die die Pflegperson (§ 19 SGB XI) keinen rechtlichen Anspruch hat. Der Pflegebedürftige kann damit seine Pflege selbst sicherstellen und es auch an seine Pflegperson weiterleiten. Dann bezeichnet der Gesetzgeber das Pflegegeld als Anerkennung einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit mit finanziellen Zuwendungen.
Weitergeleitetes Pflegegeld ist nach dem Willen des Gesetzgebers für die Pflegperson kein Arbeitsentgelt und auch kein Entgelt im Rahmen eines Dienstverhältnisses, sondern eine "Anerkennung" für Pflegeleistungen. Es soll "nicht nur dem Pflegebedürftigen selbst, sondern auch der Pflegeperson, die die häusliche Pflege unentgeltlich übernommen hat, möglichst ungeschmälert erhalten bleiben."
Rz. 31
Der Gesetzgeber hat deshalb eine Vielzahl von Ausschluss- und Befreiungstatbeständen geschaffen, damit das Pflegegeld geschützt und anrechnungsfrei bei der Pflegeperson ankommt und verbleibt. Dabei gibt es keine Regelung darüber, ob das Pflegegeld genau so, wie es gezahlt wird – nämlich monatlich –, auch an den Pflegenden weitergeleitet werden muss, um begünstigt zu sein, oder ob der Pflegende den Betrag auch jährlich oder für mehrere Jahre nachträglich weiterleiten kann. Im Pflegegrad 5 beträgt der Betrag immerhin 901 EUR monatlich, also jährlich 10.812 EUR.
Der Gesetzgeber hat sich zum Rechtscharakter des weitergeleiteten Pflegegelds im Rahmen des Schenkungsrechts nicht geäußert. Die Charakterisierung als "Anerkennung einer ehrenamtlichen Pflegtätigkeit" ist gefährlich, denn jede "belohnende" Zuwendung steht nach den allgemein geltenden Regeln immer in der Gefahr, von Sozialhilfeträgern als unentgeltliche Zuwendung i.S.d. § 516 BGB und damit als Schenkung bewertet zu werden
Man darf m.E. eine Zuwendung, die der Gesetzgeber dem Pflegenden qua gesetzlicher Bestimmung "uneingeschränkt erhalten wollte", nicht unter den Schenkungsbegriff subsumieren. Die gesetzgeberische "Widmung" und Zielsetzung ist ein Rechtsgrund sui generis, der die Zuwendung von Anfang an entgeltlich macht.
Rz. 32
Schließt man sich dieser Auffassung nicht an, dann muss man über die Auslegung von § 534 BGB neu nachdenken. Die Rechtsprechung geht zu § 534 BGB bisher davon aus, dass Pflege von Angehörigen für sich allein genommen selbst dann, wenn ein rechtlicher Unterhaltsanspruch nicht bestand, noch keine sittliche Pflicht der Eltern zu Schenkungen an ihre Kinder begründet. Die Messlatte für eine solche Pflicht wird hoch angelegt. Diese Rechtsprechung ist zwischen 20 und 35 Jahren alt und ist seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 überaltert. Sie negiert, dass gerade Familienangehörige motiviert werden sollen, die häusliche Pflege ihrer Eltern möglich zu machen. Bei der Auslegung des Begriffs der sittlichen Pflicht ist der Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Bei Pflegeleistungen in erheblichem Umfang sollte angesichts der damit verbundenen Entlastung der Sozialsysteme regelmäßig von einer sittlichen Verpflichtung zur Entlohnung ausgegangen werden. Angesichts der immensen Anstrengungen des Gesetzgebers, stationäre Pflege durch staatliche Hilfen und die vorstehenden Freistellungs- und Privilegierungsregeln möglichst zu verhindern, fordert privat und freiwillig geleistete Pflege uneingeschränkt den Schutz des weitergeleiteten Pflegegeldes. § 534 BGB ist der geeignete Ort, Zuwendungen in Höhe des weitergeleiteten Pflegegeldes nach § 37 SGB XI auf jeden Fall vom Schenkungsrückforderungsanspruch auszunehmen und pflegenden Kindern nachträglich die vom Gesetzgeber gewollte "Anerkennung" nicht zu versagen.
Rz. 33
Notfalls bliebe § 529 BGB, um zu einem Ausschluss zu kommen, wenn man nicht schon von Anfang an ablehnt, dass überhaupt eine Schenkung vorliegt. § 529 BGB enthält keine abschließende Aufzählung von Ausschlusstatbeständen, sondern gilt als Ausdruck besonderer Fallgruppen, die es wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben unbillig erscheinen lassen, den grundsätzlichen Bestandsschutz der vollzogenen Schenkung wieder zu durchbrechen.
Hinweis
Betreuungsgerichte haben das Problem bereits seit längerem erkannt. In den Internetchats der Rechtspfleger kursieren Pflegeverträge mit dem Betreuer und es wird darauf hingewiesen, dass man insbesondere bei betreuten Pflegebedürftigen auf einen Vertragsabschluss für das weitergeleitete Pflegegeld bestehe. Hintergrund sind §§ 1908i, 1804 BGB (ab 1.1.2023 § 1854 Nr. 8 BGB n.F.). Die Vorschrift des § 1804 BGB verbietet dem Betreuer Schenkungen, es sei denn, damit wird einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen. Hier stellt sich das gleiche Problem wie vorstehend diskutiert. Wenn die Weiterleitung des Pflegegeldes als Schenkung angesehen wird und wenn eine sittliche Verpflichtung zur Schenkung bzw. eine Anstandsschenkung verneint wird, dann darf eine Wei...