Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 100
Das Prinzip der privatautonomen Bewertung von Leistung und Gegenleistung hat seine Grenze da, wo schützenswerte Interessen Dritter berührt sind. Die Rechtsprechung hat überall da, wo es um Gefahren durch Vermögensminderung geht (§§ 528, 2325, 2287, 2288 Abs. 1 S. 2, 2113 Abs. 2, 2205 S. 3 BGB, vgl. auch § 1804 BGB), dem Gefahrbelasteten eine Beweiserleichterung gegeben. Bei drittbelastenden Zuwendungen steht demjenigen, der sich auf das Vorliegen einer gemischten Schenkung beruft, grundsätzlich dann eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung zu, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht. Dann hält der BGH "im Einklang mit der Lebenserfahrung eine widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien" für gerechtfertigt.
Ob ein auffallendes, grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, kann nur "nach einer Bewertung von Leistung und Gegenleistung auf sachlicher Grundlage" (z.B. Verkehrswert und die dafür maßgebenden Gesichtspunkte, wie z.B. welche Bewertungsmethode gewählt wird und welcher Wert für die jeweils erbrachten Leistungen zugrunde gelegt werden kann) erfolgen.
Rz. 101
Der Zuwendungsempfänger muss die Vermutung der Schenkung widerlegen. Der Tatrichter muss nach Anhörung der Parteien und eventuell auch Erhebung geeignet erscheinender Beweise einen bezifferten Wert auf der Grundlage von § 287 Abs. 2 ZPO ermitteln.
Einen mathematisch errechenbaren, allgemeingültigen Schwellenwert für die Feststellung eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung gibt es nicht. Im Kaufvertragsrecht nimmt die Rechtsprechung für die Feststellung des Wuchers nach § 138 BGB an, dass ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, wenn der veräußerte Gegenstand nahezu den doppelten Wert gegenüber der erbrachten Gegenleistung hat. Sicher wird angenommen, dass ein Werteverhältnis von 2:1 im Zeitpunkt des Vertragsvollzuges als Missverhältnis angesehen wird. Auch bei der Frage, ob der gesamte zugewendete Gegenstand herausgegeben oder nur Wertersatz geleistet werden muss, wird ein solches Werteverhältnis angenommen.
Rz. 102
In Rechtsprechung und Literatur herrscht Unsicherheit. Karzcewski bezieht sich im Rahmen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs z.B. auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, das ein solches Missverhältnis annimmt, wenn der Wert der Gegenleistung weniger als die Hälfte des effektiven Werts der Zuwendung beträgt. Harke zitiert die Rechtsprechung so, dass sie "ein krasses Missverhältnis" bei einem Wertverhältnis von 1:2 annehme, das auch nicht durch jüngere Äußerungen des BGH relativiert werde, was Krauß dagegen durchaus für möglich hält. Chuisi geht davon aus, dass als Faustregel für das Eingreifen einer solchen Vermutung gilt, "dass der Wert der Gegenleistung nicht weniger als die Hälfte des objektiven Wertes der Zuwendung betragen darf. Jedoch relativiert der BGH dies, als eine solch starre Regelung nicht zur Feststellung des Vorliegens einer gemischten Schenkung an sich in Ansatz gebracht werden kann, sondern nur für die Frage von Bedeutung ist, ob das Geschenk in Natur herauszugeben ist."
Rz. 103
Von anderen wird dagegen nur ein Schwellenwert von ca. 20 % angenommen. Leistungen, die bei strenger Bewertung um ca. 20 % differierten, seien immer noch als gleichwertig anzusehen und damit dem Schenkungsrückforderungsanspruch zu entziehen:
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BGH: Missverhältnis durch unangemessenes Drücken des Kaufpreises ("manipuliert") bei einem Verhältnis von 72.000 DM./. 50.000 DM möglich |
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BGH: Kein Missverhältnis bei Grundstückswert 150.0000 DM./. Nießbrauchwert von 121.000 DM bei weiterer Übernahme von Reparatur und Instandsetzungsarbeiten |
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OLG Koblenz: Eine Differenz von weniger als ein Fünftel des Grundstückswertes (hier 11.670 EUR) stellt aber noch kein derart grobes Missverhältnis dar, dass dadurch der Wille der Vertragschließenden indiziert wäre, eine gemischte Schenkung vorzunehmen |
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OLG Celle: Grundstücke im Wert von 294.500 EUR im Verhältnis zu Gegenleistungen im Wert von 180.568 EUR ist grobes Missverhältnis (Gegenleistung 61,31 %). |
Rz. 104
Dagegen wendet Cornelius im Rahmen der Bewertung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs ein, dass die subjektiven Wertungen der Parteien in den Vergleich der Werte schon mit aufgenommen worden seien. Daher sollte eine geringere Abweichung von 5 % schon erheblich sein. Bei sehr großen Vermögenswerten solle die Grenze unter 5 % liegen.
Wieder andere lehnen das subjektive Element bei der Bewertung ab und stellen ausschließlich auf die sog. objektive Unentgeltlichkeit ab und tolerieren gleichzeitig einen Spielraum von ca. 20 %.
Rz. 105
Nach diesseitiger Ansicht spricht m.E. die Feststellung des BGH, dass es bei Vorliegen einer oder mehrerer Gegenleistungen insbesondere nicht eines Überwiegens ...