A. Wunsch statt Wohl, § 1821 BGB n.F.
Rz. 1
Schon bisher waren die Betreuer verpflichtet, bei der Betreuungsführung nicht ihre eigenen Vorstellungen, sondern möglichst die des Betreuten umzusetzen. Gem. § 1901 Abs. 2, 3 BGB a.F. war allerdings zuvorderst das Wohl des Betreuten der Maßstab (Abs. 2) und die Wunschentsprechung konnte als nachrangig im Rahmen von Wohl des Betreuten und Zumutbarkeit für den Betreuer verstanden werden (Abs. 3).
Rz. 2
Praktisch, so eine wissenschaftlich ausdrücklich nicht belegte Vermutung, konnten und können viele (z.B. aufgrund fortgeschrittener Demenz) Betreute kaum Wünsche äußern, und die große Mehrzahl der Betreuer versucht zu helfen, die subjektiven Wünsche und Vorstellungen des Betreuten zu verwirklichen. Hinderlich sind eher tatsächliche und finanzielle Beschränkungen, die z.B. eine kostenintensive Betreuung einer an Demenz erkrankten Person zu Hause durch eine (auch ein eigenes Zimmer benötigende) so genannte 24-Stunden-Betreuungskraft unmöglich machen. Zudem achten viele Betreuer – in mehr oder weniger zulässigem Maß – auf eine zeitsparende Betreuungsführung, was angesichts der zur Verfügung stehenden Stundenzahl und mit Blick auf die Vergütungssätze jedenfalls nachvollziehbar ist.
Rz. 3
Trotzdem ist die Abkehr vom Begriff des objektiv-fremdbestimmenden "Wohls" hin zum subjektiv-selbstbestimmenden "Wunsch" ein deutliches Statement (als "Magna Charta" für das gesamte rechtliche Betreuungswesen“ bezeichnet), welches zum einen zur Äußerung fähigen Betreuten, Angehörigen von Betreuten und überwachenden Rechtspflegern und Richtern eine bessere gesetzliche Grundlage und Argumentationshilfe gegenüber Betreuern gibt und zum anderen einige Betreuer, Rechtspfleger und Richter und anderen Menschen mit Berührungen zu Betreuten bei einem Einstellungswandel unterstützen kann.
Wichtige Regelung
Nicht mehr das objektive Wohl, sondern der subjektive Wunsch des Betreuten sind maßgeblich.
Rz. 4
In § 1821 Abs. 1 BGB n.F. wird zunächst noch zwei Mal betont, dass der Betreuer ein rechtlicher ist (wie schon in § 1814 Abs. 1 BGB n.F. definiert), also nicht für die umfassende Versorgung des Betreuten persönlich zuständig ist. Das muss leider aufgrund des ungünstigen Begriffs des "Betreuers" immer wieder verdeutlicht werden. Sodann wird auch die Unterstützungsfunktion des Betreuers betont, § 1812 Abs. 1 S. 2 BGB n.F., mit zwei Zielrichtungen: Es wird der Vorrang der Selbstbestimmung des Betreuten und zugleich die Funktion des Betreuers als Unterstützung und nicht Übernahme- und Servicekraft herausgestellt. Dass die so genannte "unterstützende Entscheidungsfindung" noch kein gängiges und umfassend erforschtes Verfahren ist, hat der Gesetzgeber gesehen.
Rz. 5
Sodann stellt § 1821 Abs. 2 BGB n.F. die Wünsche des Betreuten ins Zentrum der Handlungsorientierungen für den Betreuer. Nach ihnen hat der Betreuer die Angelegenheiten zu besorgen (Satz 1). Er hat sie festzustellen, also zu erfragen (Satz 2). Dazu – und während der Betreuungsführung insgesamt – ist gem. § 1821 Abs. 5 BGB n.F. der persönliche Kontakt zu suchen und zu halten. Vereinbarung mit dem Betreuten über den Umgang mit in Zukunft möglichen Situationen (insbes. in psychiatrischer Hinsicht) sind weiter wichtig, können aber ggf. ebenso wie bisher widerrufen werden.
Rz. 6
Nach § 1821 Abs. 4 BGB n.F. hat der Betreuer, wenn ein umsetzbarer Wunsch nicht zu ermitteln ist, den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und umzusetzen. Diese neue Regelung ähnelt stark der zur Umsetzung des mutmaßlichen Willens beim Fehlen einer Patientenverfügung (§ 1901a BGB a.F.), wodurch auf die diesbezüglichen Überlegungen verwiesen werden kann. Datenschutzrechtlich wird die Befragung von Vertrauenspersonen mit Verweis auf §§ 4 Abs. 1 3 Nr. 1, 20 Abs. 2 BtOG als zulässig gesehen. Dass die Ermittlung der Wünsche und der Grenzen der Erfüllung gem. § 1821 Abs. 3 BGB n.F. hohe fachliche Anforderungen an die Betreuer stellt, wurde erkannt.
Rz. 7
Eine Anregung, bei Nicht-Ermittelbarkeit des mutmaßlichen Willens doch wieder auf das Wohl zurückzugreifen, wurde nicht aufgenommen. Es hätte zum einen auch nach einem Systembruch ausgesehen. Zum anderen erscheint es ohnehin legitim, wenn ein tatsächlicher oder mutmaßlicher Wille nicht zu ermitteln ist, auf allgemeine Erwägungen zurückzugreifen. Es wird also grundsätzlich das als Wille anzunehmen sein, was mutmaßlich die meisten Menschen in der Situation des Betroffenen wünschen würden, auch als "allgemeingültige Vermutungen" formuliert.
Rz. 8
Der Begriff des Wunsches ist ein anderer als der des Willens, bei dem zwischen frei und natürlich unterschieden wird. Bewusst wurde hier nicht auf den Willen abgestellt, so dass auch Wünsche zu beachten sind, denen kein freier Wille zugrunde liegt.
Wichtige Regelung
Ein Wunsch muss nicht auf einem freien Willen, sondern kann auch auf einem natürlichen Willen beruhen.
Rz. 9
Die Grenzen der Wunschentsprechung enthält § 1821 Abs. 3 BGB n.F. Die Unzumutbarkeit (Nr. 2) fü...