Rz. 38

§ 19 SGB VIII richtet sich an die für ein Kind tatsächlich sorgenden Mütter und Väter, wobei hinsichtlich der Mütter auch der Zeitrahmen vor der Geburt des Kindes als Schutzbereich umfasst wird. Mit dem Verweis auf die tatsächliche Sorge wird klargestellt, dass für den Leistungsanspruch nicht die rechtliche Sorge entscheidend ist. Im Rahmen der "Soll-Regelung" haben die Träger – ohne dass ihnen ein Ermessen eingeräumt wäre – die Leistung anzubieten,[145] für die sich die etwaige Kostenbeteiligung nach den §§ 91 Abs. 1 Nr. 2, 92 Abs. 1, Nr. 1, 3, 4 SGB VIII richtet. Nur in Ausnahmefällen – für die der Träger beweispflichtig ist[146] – darf daher von dem Leistungsangebot abgesehen werden. Gegen eine ablehnende Entscheidung kann der Anspruch mittels Widerspruch außergerichtlich bzw. durch Verpflichtungsklage gem. § 42 VwGO gerichtlich weiterverfolgt werden.

Soweit in § 19 Abs. 1 S. 1 SGB VIII als maßgebliche Altersgrenze des in der Obhut des jeweiligen Elternteils lebenden Kindes das sechste Lebensjahr genannt wird, folgt aus Abs. 1 S. 2, dass insoweit auf das Alter des jüngsten Kindes – und zwar zu Beginn der Hilfeleistung[147] – abzustellen ist, um auch Geschwisterkinder in den beabsichtigten Schutz einzubeziehen.

 

Rz. 39

Zielrichtung des Leistungsangebots ist die Unterstützung der Eltern bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung, um so eine adäquate Pflege und Entwicklung des Kindes sicherstellen zu können. Leistungsberechtigt ist ein Elternteil im Umkehrschluss daher nur dann, wenn er gerade wegen einer eingeschränkten Persönlichkeitsentwicklung, etwa wegen seines Alters, der Hilfestellung bedarf und ein Erfolg der Hilfeleistung erreichbar erscheint.[148] Wirtschaftliche Einschränkungen sind unbeachtlich. Beruhen die Einschränkungen der Eltern auf geistigen oder körperlichen Behinderungen, so wird § 19 SGB VIII von den Hilfeleistungen nach § 53 ff. SGB XII überlagert. Um die Hilfe anbieten zu können, soll den Eltern eine gemeinsame Wohnform zur Verfügung gestellt werden. Unabhängig davon, ob sich die Wohnform als voll- oder teilstationäre Maßnahme, als Wohngruppe oder Einzelwohnung darstellt, ist jeweils entscheidend, dass sie mit einer Hilfeleistung in der Zielrichtung des § 19 SGB VIII verbunden ist und "realitätsnahe Alltagsbedingungen"[149] bestehen. Erforderlich ist daher eine konkrete Unterstützung der Elternteile bei der Pflege und Erziehung des Kindes. Sobald der Elternteil aufgrund der Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit zur eigenständigen Erbringung dieser Aufgabe in der Lage oder im Gegenteil klar erkennbar die Zielerreichung nicht realisierbar ist (arg. § 19 Abs. 1, S. 1 SGB VIII: "solange"), endet die Hilfsmaßnahme.

 

Rz. 40

Neben der Unterstützung bei der Persönlichkeitsentwicklung der Eltern sieht § 19 Abs. 2 SGB VIII weitergehend das Hinwirken des Trägers darauf vor, dass die Eltern eine schulische oder berufliche Ausbildung entweder aufnehmen oder fortführen. Verfügen sie bereits über eine Berufsausbildung, so soll die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützt werden. Intention ist dabei, die Eltern in eine auch wirtschaftliche Eigenständigkeit zu bringen, als Bestandteil ihrer Persönlichkeitsentwicklung und der eigenverantwortlichen Pflege und Erziehung des Kindes.[150] Selbstverständlich ist dabei die Regelung in § 19 Abs. 3 SGB VIII, wonach in der Zeit des gemeinsamen Wohnens sowohl der Lebensunterhalt von Eltern[151] und Kind als auch die Krankenvorsorge im Sinn des § 40 SGB VIII sicherzustellen ist.

[145] Münder/Wiesner/Meysen, Kinder- und Jugendhilferecht, Kap. 3.3 Rn 26.
[146] BVerwG, zfs 1982, 148.
[147] Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 19 Rn 8.
[148] OVG Münster, Beschl. v. 15.12.2003 – 12 A 2729/01, juris.
[149] BT-Drucks 11/5948, S. 59.
[151] Leistungspflichten anderer Sozialleistungsträger bleiben davon allerdings unberührt, vgl. BT-Drucks 12/2866, S. 39.

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