Rz. 91

Ebenso wie die Vollzeitpflege sieht auch die Heimerziehung eine Unterbringung des Minderjährigen außerhalb des Elternhauses vor, allerdings nicht in einer sonstigen Familie, sondern in einer Einrichtung im Sinne des § 45 SGB VIII,[265] ohne dass sich hierdurch jedoch eine Veränderung der Personensorge ergäbe. Die im Vordergrund stehenden pädagogischen und therapeutischen Angebote, durch die die Entwicklung des Minderjährigen gefördert werden soll, erfolgen durch professionelle Fachkräfte. Gleiche Erwägungen gelten für die von § 34 SGB VIII ebenfalls umfassten sonstigen betreuten Wohnformen, wie etwa Wohngemeinschaften, betreutes Wohnen oder Jugendwohnungen. Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, die nach § 27 SGB VIII eine Hilfe zur Erziehung erfordern und zudem die Heimerziehung oder die betreute Wohnform im konkreten Einzelfall die geeignete und notwendige Hilfsmaßnahme darstellt, haben die Personensorgeberechtigten des Minderjährigen einen Rechtsanspruch auf die Leistung nach § 34 SGB VIII. Die Eignung und Notwendigkeit der Maßnahmen wird bindend in einem zu erstellenden Hilfeplan ermittelt. Dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten aus § 5 SGB VIII ist insoweit zu entsprechen, als damit keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind.[266] Hieraus folgt gleichzeitig, dass eine konsequente und umfassende Beteiligung der Leistungsempfänger an der Erstellung und der kontinuierlich zu veranlassenden Fortschreibung des Hilfeplans geboten ist.

 

Rz. 92

Die möglichen Zielrichtungen der Heimerziehung oder der betreuten Wohnform werden im Gesetzestext in drei Alternativen aufgelistet. Welche Zielsetzung jeweils im Vordergrund steht, beurteilt sich am Einzelfall. Hierbei spielt neben dem Alter und dem Entwicklungsstand des Minderjährigen auch die Frage eine Rolle, inwieweit die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie selbst durch parallel gebotene Elternarbeit, die essentieller Bestandteil der Hilfe zur Erziehung ist, verbessert werden können.

Die erste Alternative – Rückkehr in die Herkunftsfamilie – dürfte wohl eher für Kinder im Vordergrund stehen als für Jugendliche, die sich ohnehin der Volljährigkeit nähern. Als zweite Alternative kommt die Heimerziehung bzw. die betreute Wohnform in Betracht, um Minderjährige auf die Erziehung in einer anderen Familie vorzubereiten, etwa wenn die Unterbringung in einer Pflegefamilie vorgesehen ist. Bereits vom zeitlichen Ablauf her dürfte sich wohl auch diese Alternative eher an Kinder als an Jugendliche richten. Als letzte Alternative ist die Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben vorgesehen. Sie zielt auf Jugendliche, die mit Blick auf ihr Alter voraussichtlich nicht mehr in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren oder in eine andere Pflegefamilie vermittelt werden. Ihnen sollen die notwendigen Grundlagen für eine Verselbstständigung vermittelt werden. Gerade für diese Zielgruppe besitzt auch die in § 34 S. 3 SGB VIII vorgesehene Beratung und Unterstützung in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung besondere Bedeutung. Mit ihnen sollen schulische und berufliche Möglichkeiten ausgelotet werden, orientiert an ihren persönlichen Fähigkeiten und Neigungen. Ebenso soll die Unterstützung bei der Berufswahl und der Aufnahme einer Tätigkeit erfolgen, da die wirtschaftliche Selbstständigkeit maßgebliche Grundlage für eine eigenständige Lebensführung ist.

 

Rz. 93

Die Kostentragung der Heimerziehung oder einer sonstigen betreuten Wohnform obliegt zunächst dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe gem. § 91 Abs. 5 SGB VIII. Allerdings können sowohl die Minderjährigen als auch ihre Eltern nach den §§ 91 ff. SGB VIII zu den Kosten, einschließlich Unterhalt und Krankenvorsorge, herangezogen werden.

[265] Zur Bedeutung des Rechts des Kindes auf gewaltfreie Erziehung für die Zulässigkeit körperlichen Zwangs in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe siehe Häbel, ZKJ 2016, 168.
[266] Kunkel//Kepert/Pattar, SGB VIII, § 34 Rn 9.

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