Inga Leopold, Dr. iur. Jürgen Peter
Rz. 108
Für die Anhörung des Betriebsrats bei außerordentlichen Kündigungen gelten grundsätzlich dieselben Grundsätze wie für die ordentlichen Kündigungen. Die Anhörung umfasst also regelmäßig insbesondere neben den allgemeinen notwendigen Informationen
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Tatsachen, die den wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB ergeben, |
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Zeitpunkt der Kenntniserlangung, |
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Umstände, die die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – auch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – ergeben, einschließlich Fehlen milderer Mittel, |
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die Darlegung der durchgeführten Interessenabwägung (Name, Inhalt und Ergebnis), |
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ggf. erfolgte Abmahnungen/Gegendarstellungen. |
Rz. 109
Der Arbeitgeber hat also insbesondere Tatsachen mitzuteilen, denen zufolge es unzumutbar ist, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzuwarten. Zu bedenken ist, dass Sozialdaten im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung von Bedeutung sein können. Hierbei steht die fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten des zu kündigenden Arbeitnehmers an den Betriebsrat der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Sozialdaten ersichtlich nicht ankommt, der Betriebsrat die ungefähren Daten kennt und er daher die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ausreichend beurteilen kann. Im Hinblick auf die angegebene Rechtsprechung zum AGG ist aber auch an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, dass es sicherer ist, auch in dieser Konstellation die vollständigen Sozialdaten mitzuteilen. Allerdings geht das BAG davon aus, dass es nicht zu den mitteilungspflichtigen Fakten gehört, den Betriebsrat bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung darüber zu unterrichten, dass für den Arbeitnehmer ein tariflicher Sonderkündigungsschutz gilt, der die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung ausdrücklich unberührt lässt.
Rz. 110
Besonderheiten gelten bei der außerordentlichen Kündigung eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers. Kann diesem z.B. aus betriebsbedingten Gründen ausnahmsweise unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt werden, etwa weil der Arbeitsplatz weggefallen ist und keine andere Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, dann hat die Beteiligung des Betriebsrats den Regeln über die Beteiligung des Betriebsrats bei ordentlichen Kündigungen zu entsprechen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber, der in diesem Fall zu einer Sozialauswahl entsprechend § 1 Abs. 3 KSchG verpflichtet ist, dem Betriebsrat auch alle relevanten Sozialdaten der in die Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer mitzuteilen hat. Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Betriebsrat bei der Anhörung daher nicht nur über den Umstand in Kenntnis zu setzen, dass eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB ausgesprochen werden soll, die erst nach Ablauf der für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses geltenden Auslauffrist wirksam werden soll. Ganz wichtig ist für die Praxis, dass nach der Rechtsprechung des BAG dem Arbeitnehmer im Rahmen von § 102 BetrVG in derartigen Fällen der Schutz gewährt werden soll, der bei einer ordentlichen Kündigung gegeben ist. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat nicht nur die Anhörungsfrist von drei Kalendertagen, sondern die Wochenfrist nach § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG einräumen muss. Kündigt der Arbeitgeber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer vor Ablauf dieser Frist, obwohl bis dahin keine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt, ist die Kündigung unwirksam mit damit in derartigen Fällen wegen des Kündigungsverbrauchs verbundenen verheerenden Folgen für den Arbeitgeber. In diesen Ausnahmefällen wird dem Betriebsrat auch das Recht zugebilligt, der Kündigung unter Bezugnahme auf die in § 102 BetrVG genannten Gründe mit der Folge zu widersprechen, dass trotz Vorliegen einer außerordentlichen Kündigung ein gesetzlicher Weiterbeschäftigungsanspruch entstehen kann.
Rz. 111
Der Arbeitgeber kann die beabsichtigte außerordentliche Kündigung aussprechen, wenn er den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet hat und sobald sich der Betriebsrat innerhalb der Drei-Tage-Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG abschließend geäußert hat oder nachdem die Drei-Tage-Frist ohne Reaktion des Betriebsrats abgelaufen ist.
Rz. 112
Praxishinweis
Die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen nach § 626 Abs. 2 BGB wird durch die Äußerungsfrist durch den Betriebsrat nicht verlängert.
Bei Ausspruch einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung ist der Ablauf der Wochenfrist abzuwarten, es sei denn, das Anhörungsverfahren endet durch vorherige abschließende Äußerung des Betriebsrats auch insoweit. Um für die außerordentliche Kündigung die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu wahren und gleichzeitig das Beteiligungsverfahren nach § 102 BetrVG einzuleiten, kann es deshalb erforderlich sein, eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung in getrennten Schreiben zu unterschiedlichen Zeitpunkt...