Inga Leopold, Dr. iur. Jürgen Peter
Rz. 194
§ 103 BetrVG schützt Funktionsträger, insbesondere Mitglieder des Betriebsrats und Wahlbewerber vor dem Verlust ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung durch ungerechtfertigte außerordentliche Kündigungen und Versetzungen. Eine ordentliche Kündigung ist grundsätzlich und für bestimmte Fristen ausgeschlossen. Ausnahmen gelten lediglich für den Fall der Betriebsstilllegung oder der Stilllegung einer Betriebsabteilung. Eine außerordentliche Kündigung ist möglich. § 103 Abs. 1 BetrVG verfolgt das gleiche Ziel wie § 15 KSchG. Das Zustimmungserfordernis des § 103 Abs. 1 BetrVG verdrängt in seinem Anwendungsbereich die Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG. § 102 BetrVG findet jedoch entsprechende Anwendung bezüglich der Anforderungen an die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Bei der Erklärungsfrist des Betriebsrats findet § 102 BetrVG ebenfalls entsprechende Anwendung. Einvernehmen besteht, dass die Zustimmungsfiktion des § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG keine Anwendung findet, da ansonsten der gewollte verstärkte Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger leerliefe.
Rz. 195
Im Übrigen richtet sich die Frage der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung kündigungsschutzrechtlich nach § 626 BGB, wobei im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung Belange der Arbeitnehmervertretung, insbesondere des Betriebsrats zu berücksichtigen sind.
Rz. 196
Zu beachten ist, dass auch in der Insolvenz Betriebsratsmitglieder den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG besitzen; sie sind daher nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.
Rz. 197
Das Erfordernis, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen, erstreckt sich auf den Beendigungstatbestand Kündigung. Soll das Arbeitsverhältnis eines der nach § 103 Abs. 1 BetrVG geschützten Funktionsträger aus anderen Gründen, etwa durch Aufhebungsvertrag, enden, ist eine Beteiligung nach § 103 Abs. 1 BetrVG nicht erforderlich.
Rz. 198
Da nach § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG die ordentliche Kündigung der Funktionsträger ausgeschlossen ist, muss es sich bei der Kündigung im Zusammenhang mit § 103 BetrVG um eine außerordentliche Kündigung handeln. Das Zustimmungserfordernis gilt dabei nicht nur für Beendigungskündigungen, sondern auch für Änderungskündigungen. Hält man mit dem BAG eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bei § 15 KSchG – ebenso wie bei anderen Konstellationen, in denen eine ordentliche Kündigung nicht ausgesprochen werden kann – nicht für ausgeschlossen, dann bedarf auch eine derartige Kündigung gem. § 103 Abs. 1 BetrVG der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats.
Rz. 199
Als Kündigungsgründe kommen all diejenigen in Betracht, die auch bei nicht sonderkündigungsgeschützten Funktionsträgern als "wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, in der Regel also verhaltens-, im Ausnahmefall auch einmal personen- oder betriebsbedingte Gründe.
Rz. 200
Bei der betriebsbedingten Beendigungskündigung sind § 15 Abs. 4 und 5 KSchG zu beachten. Nach diesen Vorschriften kann einem Amtsträger bzw. Wahlbewerber bei Betriebsstilllegung oder Betriebsabteilungsstilllegung ordentlich gekündigt werden, frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung. Ist Derartiges beabsichtigt, dann ist der Betriebsrat insoweit lediglich nach § 102 BetrVG anzuhören; eine Zustimmung nach § 103 S. 1 BetrVG ist nicht erforderlich. Das Zustimmungserfordernis ist ebenfalls nicht gegeben, wenn eine Kündigung, die nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG als ordentliche Kündigung zulässig ist, nur deshalb als außerordentliche ausgesprochen wird, weil der Betroffene aufgrund tarifvertraglicher Bestimmungen ordentlich unkündbar ist.
Rz. 201
Liegen diese Ausnahmefälle nicht vor, dann ist auch bei der außerordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung das Zustimmungserfordernis nach § 103 Abs. 1 BetrVG gegeben.
Rz. 202
In der Praxis kommt es häufiger zu außerordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigungen. Auch insoweit ist § 103 Abs. 1 BetrVG anzuwenden.
Rz. 203
Nach der Rechtsprechung des BAG findet eine teleologische Reduktion des § 103 Abs. 1 BetrVG im Zusammenhang mit Massenänderungskündigungen auch dann nicht statt, wenn bei Massenänderungskündigungen außer den Funktionsträgern/Wahlbewerbern weitere Arbeitnehmer betroffen sind. Auch in diesen Fällen bleibt es bei der Anwendbarkeit des § 103 Abs. 1 BetrVG.
Rz. 204
Nach herrschender Meinung bedarf es bei einer sog. Kampfkündigung nicht der Zustimmung des Betriebsrats gem. § 103 Abs. 1 BetrVG. Von einer Kampfkündigung wird immer dann gesprochen, wenn der Arbeitgeber mit einer außerordentlichen Kündigung auf ein rechtswidriges Verhalten des Amtsträgers/Wahlbewerbers im Rahmen eines Arbeitskampfes reagieren will. Der Arbeitgeber muss jedoch gem. § 103 Abs. 2 BetrVG die Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht beantragen.
Rz. 205
Zu den geschützten Personen i.S.d. § 103 Abs. 1 BetrVG gehören zunächst die dort aufgeführten Arbeitnehmervertreter. Erfasst sind ...