Inga Leopold, Dr. iur. Jürgen Peter
Rz. 46
Im Mittelpunkt der Vorschrift des § 102 BetrVG steht das Anhörungsverfahren. Dieses gliedert sich ablaufmäßig in die drei Abschnitte Einleitung, Durchführung und Abschluss. Gegenständlich ist die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber über die beabsichtigte Kündigung ("Mitteilung") und die Äußerung des Betriebsrats zu dieser Kündigung ("Stellungnahme") zu unterscheiden. Das Gesetz schreibt in § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG lediglich vor, dass der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen habe. Das Verfahren endet mit der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats oder mit Fristablauf. Der Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens bedarf es vor Ausspruch der Kündigung ebenso wenig wie der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats durch das ArbG, es sei denn, es liegt eine Betriebsvereinbarung gem. § 102 Abs. 6 BetrVG vor. Obwohl das Beteiligungsrecht des Betriebsrats insbesondere nach dem Wortlaut der Norm "eigentlich" eher schwach ausgestaltet ist, führt das zum Teil kritisierte Maß der Anforderungen, die seitens der Rspr. an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung gestellt werden, in der Praxis nicht selten zu Schwierigkeiten. Mangelnde Sorgfalt bei der Vorbereitung und Durchführung der Beteiligung des Betriebsrats rächt sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Ist die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt, wird sich das Arbeitsgericht in der Regel nicht mehr mit der sozialen Rechtfertigung der Kündigung beschäftigen und die Unwirksamkeit nur über § 102 Abs. 1 BetrVG begründen.
Rz. 47
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach Auffassung des BAG eine unzureichende, also nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung einer Kündigung ohne Anhörung des Betriebsrats gleichsteht. Ist eine Kündigung nach diesen und den nachfolgend noch darzulegenden Maßgaben gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, verbleibt dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit, nach erneuter Betriebsratsanhörung eine neue Kündigung auszusprechen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, innerhalb von drei Wochen gem. §§ 4, 6 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender bzw. nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung geltend zu machen. Rügt der Arbeitnehmer diese Unwirksamkeit zunächst nicht, erhebt aber innerhalb der Frist des § 4 KSchG rechtzeitig Klage mit anderen Unwirksamkeitsgründen, kann er diese Begründung über § 6 KSchG nachholen. An alledem ändert auch ein ggf. erklärtes ausdrückliches Einverständnis des Betriebsrats mit einer beabsichtigten Kündigung grundsätzlich nichts.
1. Sinn und Zweck und Beteiligungsart
Rz. 48
Für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG gilt nicht das positive Konsensprinzip; es ist nicht einmal eine Stellungnahme des Betriebsrats erforderlich. Der Arbeitgeber ist lediglich verpflichtet, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, ihm seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht mitzuteilen. Deshalb ist es auch unerheblich, ob der Arbeitgeber bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits fest zur Kündigung entschlossen ist. Soweit keine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 102 Abs. 6 BetrVG getroffen wurde, beschränkt sich die Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen also auf die Anhörung. Anhörung bedeutet, dass der Betriebsrat durch den Arbeitgeber zu unterrichten ist und die Gelegenheit erhält, seinerseits Stellung zu nehmen. Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, sich auf eine Besprechung oder Diskussion einzulassen, es sei denn, eine entsprechende Vorgehensweise würde sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG (Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit) durch innerbetriebliche Konkretisierung ergeben. Das Anhörungsverfahren soll den Arbeitgeber dazu veranlassen, seine Kündigungsentscheidung zu überprüfen. Er soll ggf. vom Betriebsrat vorgetragene Bedenken berücksichtigen und unter Umständen sogar vom Ausspruch einer Kündigung absehen. Ziel des Beteiligungsverfahrens ist es, den Betriebspartner von der jeweiligen anderen Sicht der Dinge zu informieren und ggf. zu überzeugen.
2. Kündigungsfreiheit und Verzicht
Rz. 49
Eine Bindungswirkung hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Dies gilt auch dann, wenn der Betriebsrat gegenüber einer ordentlichen Kündigung Widerspruch erhebt. Der Arbeitgeber bleibt in seiner Entscheidung, ob er kündigen will oder nicht, frei. Die einzige Möglichkeit für den Betriebsrat, diese Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers einzuschränken, besteht dann, wenn der Arbeitgeber dies mit dem Betriebspartner über § 102 Abs. 6 BetrVG in Form einer Betriebsvereinbarung vereinbart hat.
Rz. 50
Der Arbeitnehmer, dem gekündigt werden soll, kann rechtswir...