Inga Leopold, Dr. iur. Jürgen Peter
Rz. 52
Das Anhörungsverfahren, die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber, wird eingeleitet durch Abgabe einer ordnungs- und fristgemäßen, allerdings formlosen Erklärung gegenüber dem zuständigen Betriebsrat.
1. Form der Mitteilung
Rz. 53
Eine bestimmte Form der Mitteilung an den Betriebsrat schreibt das Gesetz nicht vor. Die Unterrichtung hat grundsätzlich während der Arbeitszeit und in den Betriebsräumen stattzufinden. Weist allerdings der Betriebsratsvorsitzende etwa eine telefonische Mitteilung, die er zu Hause erhält, nicht zurück, wird damit die Äußerungsfrist in Lauf gesetzt. Die Anhörung muss also nicht schriftlich erfolgen. Es reicht grundsätzlich, den Betriebsrat mündlich zu unterrichten und ihn so anzuhören. Da der Arbeitgeber im nachfolgenden individualarbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozess in vollem Umfange darlegungs- und beweisbelastet für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ist, ist die schriftliche Anhörung allerdings dringend zu empfehlen und in der Praxis die Regel.
Rz. 54
Entgegen einer vielfach anzutreffenden Auffassung in der Praxis ist der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet, dem Betriebsrat gegenüber Unterlagen vorzulegen oder Beweismittel anzugeben. Die Anhörung des Betriebsrats bedarf dabei auch dann nicht der Schriftform bzw. der Übergabe vorhandener schriftlicher Unterlagen, wenn der Kündigungssachverhalt ungewöhnlich komplex ist. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, dem Betriebsrat Umstände mitzuteilen, die für die Glaubwürdigkeit von Zeugen oder anderer Beweismittel von Bedeutung sind. Etwas anderes kann sich allerdings dann über § 2 Abs. 1 BetrVG ergeben, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit immer wieder Unterlagen und Beweismittel vorgetragen, vorgelegt oder angegeben hat. Sollte sich die Mitteilungspflicht über § 2 Abs. 1 BetrVG in Ausnahmefällen auf ein derartig umfassendes Vorlageprozedere konkretisieren, müsste nach der Rspr. des BAG konsequenterweise auch deren Nichtbeobachtung zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG führen. Bei der Abgabe der Mitteilung kann sich der Arbeitgeber selbstverständlich eines Boten oder Vertreters bedienen. Tut er dies, dann kann der Betriebsrat die Anhörung zu einer beabsichtigten Kündigung durch einen Boten oder Vertreter des Arbeitgebers allerdings nicht analog § 174 S. 1 BGB zurückweisen, wenn der Anhörung kein Vollmachtsnachweis beigefügt ist.
2. Mitteilungsfrist
Rz. 55
§ 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG bestimmt lediglich, dass der Betriebsrat "vor" jeder Kündigung zu hören ist. Eine konkrete Frist wird vom Gesetzgeber nicht festgelegt. Diese ergibt sich aber mittelbar bezogen auf den vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigungszeitpunkt daraus, dass der Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG Bedenken gegen eine ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen hat. Nach § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG hat der Betriebsrat Bedenken, die gegenüber einer außerordentlichen Kündigung bestehen, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen schriftlich mitzuteilen. Da die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB durch die Äußerungsfrist nach § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG nicht verlängert wird, muss die Mitteilung an den Betriebsrat innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB so rechtzeitig erfolgen, dass die Anhörungsfrist (längstens drei Tage) gewahrt ist. Das Anhörungsverfahren muss also abgeschlossen sein, bevor die Kündigungserklärung den Machtbereich des Arbeitgebers endgültig verlassen hat.
Rz. 56
Entsprechendes gilt auch, wenn der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung die Zustimmung einer staatlichen Behörde einholen muss. Dies gilt etwa bei einer Arbeitnehmerin, die unter das MuSchG fällt, und bei der Kündigung eines Menschen mit Behinderung gem. §§ 168 ff. Abs. 1 SGB IX. Hierbei besteht zunächst Einvernehmen, dass das Anhörungsverfahren sowohl vor dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung als auch noch während des Verwaltungsverfahrens oder nach dessen Ende eingeleitet werden kann. Auch bei einer außerordentlichen Kündigung kann der Arbeitnehmer das Anhörungsverfahren erst nach Erteilung der Zustimmung bzw. nach Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX einleiten. Entscheidet sich der Arbeitgeber hierzu, dann muss er unverzüglich nach Vorliegen der Zustimmung – sei es durch zustimmenden Bescheid, sei es durch Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX – das Anhörungsverfahren mit dem Betriebsrat durchführen und im Anschluss hieran wiederum unverzüglich die außerordentliche Kündigung aussprechen. Für die entsprechenden zeitlichen Zusamm...