Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 70
Das Berufungsgericht oder dessen Vorsitzender kann dem Berufungsbeklagten gemäß § 521 Abs. 2 S. 1 ZPO eine Frist zur schriftlichen Berufungserwiderung setzen, welche mindestens zwei Wochen betragen muss, §§ 521 Abs. 2 S. 2, 277 Abs. 3 ZPO. Die Frist ist gemäß dem Ermessen des Berufungsgerichts bzw. des Vorsitzenden verlängerbar. Der Fristverlängerungsantrag sollte die Darlegung eines wichtigen Grundes enthalten. Wird keine Frist gesetzt, kann die Berufungserwiderung sogar bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen. Die allgemeine Prozessförderungspflicht gemäß §§ 525, 282 Abs. 1 ZPO ist zu beachten.
Nach § 522 Abs. 2 ZPO darf ein Berufungsgericht die Berufung durch (einstimmigen) Beschluss zurückweisen. Dem Berufungsgericht ist auch erlaubt, einen Hinweis, in dieser Weise verfahren zu wollen, schon zu erteilen, bevor eine Berufungserwiderung vorliegt.
Der Berufungsbeklagte wird regelmäßig den Antrag auf Zurückweisung der Berufung stellen. Hilfsweise kann er auch den Antrag stellen, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Vollstreckungsschutzanträge müssen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Hat der Berufungsbeklagte erstinstanzlich Prozesskostenhilfe erhalten, erhält er auf Antrag notwendige Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Dies gilt auch, wenn das Gericht die Berufung zurückweisen will, bevor eine Berufungserwiderung vorliegt.
Eine Berufungserwiderung befasst sich u.U. mit einer Rüge der Zulässigkeit der Klage, ferner mit dem Bestreiten von neuen Tatsachenvortrag des Berufungsklägers – insoweit ist es eine wesentliche Aufgabe des Rechtsanwalts des Berufungsbeklagten, die Berufungsbegründung auf neuen Tatsachenvortrag durchzusehen –, und ggf. eigenen neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln nach § 531 ZPO. Oftmals wird es auf rechtliche Ausführungen ankommen. Auch Aufrechnungserklärungen gemäß § 533 ZPO bekommen in Betracht.
Rz. 71
Der Berufungsbeklagte kann sich bis zum Ablauf der Berufungserwiderungsfrist der Berufung anschließen.
Praxistipp
Ist die Berufungsfrist noch nicht abgelaufen, sollte ausdrücklich klargestellt werden, ob eine Anschließung als selbstständige Berufung (selbstständige Anschlussberufung = unechte Anschlussberufung) fortgeführt werden soll, falls die Hauptberufung später zurückgenommen werden sollte.
Rz. 72
Wenn Formfehler beim Einlegen einer beabsichtigten eigenen Hauptberufung begangen wurden, sodass diese Berufung unzulässig ist, ist sie in eine unselbstständige Anschlussberufung umzudenken, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Anschlussberufung vorliegen und die Umdeutung von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird.
Rz. 73
Die unselbstständige Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift beim Berufungsgericht. Sie ist bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Berufungserwiderungsfrist zulässig und sogar dann statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Frist für das Einlegen einer eigenen Berufung verstrichen ist.
Rz. 74
Die Anschlussberufung empfiehlt sich u.a. für den erfolgreichen Kläger, der in erster Instanz einen Haupt- und Hilfsantrag gestellt hatte und bereits mit dem Hauptantrag Erfolg hatte: Der Kläger kann mit der Anschlussberufung erreichen, dass das Berufungsgericht nunmehr über beide Anträge verhandelt. Wenn zumindest der Hilfsantrag in der Beurteilung durch das Berufungsgericht Erfolg hat, begegnet er mit der Anschlussberufung der Gefahr, dass seine Klage insgesamt abgewiesen wird.
Der Berufungsbeklagte sollte in jedem Fall gründlich prüfen, ob er eine unselbstständige Anschlussberufung einlegen will, denn er ist dann von der Hauptberufung abhängig. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird, § 524 Abs. 4 ZPO.
Rz. 75
Speziell unter Kostenaspekten ist genau zu prüfen, ob eine Anschlussberufung eingelegt werden soll. Die Kosten von Berufung und Anschließung sind nach § 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln, wenn sich der Berufungsbeklagte einer von vornherein unzulässigen Hauptberufung angeschlossen hatte oder die Hauptberufung vor der Anschließung (wenn auch ohne Wissen des Berufungsbeklagten) wieder zurückgenommen war. Insoweit trägt nämlich der Berufungskläger nicht willentlich dazu bei, dass die Anschlussberufung wegfällt. Im Übrigen trifft den Berufungskläger die Kostenlast auch in Bezug auf die damit wirkungslos gewordene Anschlussberufung. Sollte das Gericht einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilen und der Berufungskläger daraufhin sein Rechtsmittel zurücknehmen, ist damit zu rechnen, dass das Gericht ihm die volle Kostenlast auferlegt. Umstritten ist, wen die Kostenlast für die Anschlussberufung trifft, wenn das Gericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückweist. Der BGH hat die Kosten im Verhältnis der Werte von Haupt- und Anschlussrech...