Rz. 18

Die mit Abstand wichtigste Leistung in der privaten Unfallversicherung ist die Invaliditätsleistung. Der Versicherungsnehmer erhält vom Versicherer eine Geldsumme, deren Höhe sich nach den am Unfalltag vereinbarten AUB im Zusammenhang mit dem am Unfalltag den Vertragsstand dokumentierenden Versicherungsschein bestimmt. Denn auch in der Unfallversicherung kann vereinbart sein, dass Leistung und Beitrag dynamisch steigen. Legt der Mandant daher den ersten Versicherungsschein vor und unterschlägt entsprechende Nachträge, kann sich dies gravierend auf die zu fordernde Versicherungsleistung auswirken. Durch die Reform des VVG zum 1.1.2008 und der Option, Versicherungsbedingungen anzupassen, können daher auch neue Versicherungsbedingungen bestehen. Schon aus diesem Grunde ist es unerlässlich, dass der Anwalt neben den Bedingungen den Versicherungsschein vom Mandanten erhält. Nur so kann die Invaliditätsleistung ausgerechnet werden.

a) Invalidität

 

Rz. 19

Nach den Unfallversicherungsbedingungen (vgl. z.B. § 7 I (1) S. 1 AUB 88/AUB 94, Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008) liegt eine Invalidität vor, wenn eine dauernde Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit gegeben ist. Hierbei ist wichtig, dass eine Invalidität immer erst dann gegeben ist, wenn es entweder bereits schon feststeht oder zu erwarten ist, dass die dauernde Beeinträchtigung lebenslang andauert. Genau diese Problematik führt oftmals zum Erstaunen, wenn Zahlungen aufgrund der Invaliditätsentschädigungen geleistet werden, aber trotz schwerster Verletzungen mitunter keine lebenslang andauernden Beeinträchtigungen bleiben. Berücksichtigt man ferner die Entwicklungen der Medizin in den letzten Jahren, so reduziert dies noch einmal den Leistungsanspruch, da die dauerhaften Beeinträchtigungen trotz schwerer Verletzungen oftmals nicht relevant sind. Sollte die dauernde Beeinträchtigung nicht mit absoluter Sicherheit ärztlicherseits feststehen, ist es nach den Bedingungen (vgl. § 11 IV AUB 88/AUB 94, Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008) ausreichend, wenn eine ärztliche Prognose angibt, dass sie voraussichtlich mindestens 3 Jahre nach dem Unfall andauern wird. Aber auch in diesem Fall ist manchmal erstaunlich, was Ärzte dann innerhalb von 3 Jahren nach einem Unfall aus schwerstgeschädigten Personen wieder machen können, so dass trotz erheblicher Personenschäden mitunter nur verhältnismäßig geringe Invaliditätsleistungen zu ermitteln sind. Selbstverständlich hängen die Leistungen immer von der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme ab, so dass gegen Zahlung erhöhter monatlicher Prämien natürlich auch höhere Invaliditätsleistungen "erkauft" werden können. Ist z.B. die Vertragssumme 100.000 EUR und betrifft es eine Verletzung des Armes im Schultergelenk mit einer Bewertung von 70 % gem. Gliedertaxe (siehe § 7 I (2) a AUB 88/AUB 94, Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 2008), so ergibt sich Folgendes: Der Versicherungsnehmer würde bei einer Versicherungssumme von 100.000 EUR laut Versicherungsschein und einer Verletzung der Funktionsfähigkeit eines Armes im Schultergelenk bei 70 % nach Gliedertaxe und einer Beeinträchtigung laut Gutachten von 2/7 20.000 EUR erhalten, da 2/7 von 70.000 EUR (70 % von 100.000 EUR) 20.000 EUR ergeben.

 

Praxistipp

Nachdem der Invaliditätsgrad ärztlich festgestellt und intern überprüft wurde, muss der Anwalt prüfen, ob ab diesem festgestellten Prozentsatz die Progression greift. Diese sog. Progressionsstaffeln sind nicht automatisch vereinbart, sondern müssen ausdrücklich vertraglich festgehalten werden und gelten ab einem bestimmten Grad der Invalidität. Je nach Prozentsatz kann sich die Invalidität verdoppeln, verdreifachen oder sogar vervierfachen. Insofern ist an die Progression immer bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades zu denken.

 

Praxistipp

Ferner ist nach festgestellter Invalidität zu prüfen, ob nach den Bedingungen auch noch eine monatliche Rente seitens des Versicherers zu leisten ist. Viele Bedingungen sehen vor, dass ab einem Invaliditätsgrad z.B. von 50 % eine monatliche Rente zu leisten ist. Da diese Rente in der Regel lebenslang zu entrichten ist, ist hieran unbedingt aus Anwaltssicht zu denken, da diese Zahlungen monatlich addiert erhebliche Summen ergeben können.

 

Rz. 20

Die AUB 61 sprachen noch von einer dauernden Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Die neuen Bedingungen haben hiervon Abstand genommen, da dies nicht mehr dem überwiegenden Stand und dem Zweck einer privaten Unfallversicherung entspricht, weil eine private Unfallversicherung nicht ausschließlich für Berufstätige als Absicherung dient. Sollte einmal ein Altfall nach den AUB 61 vorliegen, muss dieser Gesichtspunkt beachtet werden.

b) Formelle Voraussetzungen (Fristen)

 

Rz. 21

Die Fristen bei der Invaliditätsentschädigung sind eines der Problemfelder, mit denen sich die Gerichte immer wieder im Bereich der privaten Unfallversicherung beschäftigen müssen. Nach § 7 I (1) Abs. 2 AUB 94 bzw. Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 muss die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf ...

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