Rz. 25

Nach Ziff. 1.1 ist die "gesetzliche Haftpflicht" des Versicherungsnehmers für Personen-, Sach- und daraus entstandene weitere Schäden abgedeckt.

Eine Legaldefinition, was unter dem Begriff der "gesetzlichen Haftpflicht" zu verstehen ist, findet sich im Produkthaftpflicht-Modell nicht. Bedingt durch die Präambel kann jedoch auf die allgemeine Regelung in Ziff. 1.1 AHB zurückgegriffen werden. Dort wird aber der Begriff der "gesetzlichen Haftpflichtbestimmung" ebenfalls nur erwähnt und ebenso wenig wie im VVG "gesetzlich definiert". Zu Ziff. 1.1 AHB wurde (auch schon in den vorherigen Fassungen) die Auffassung vertreten, dass unter den dort geregelten Haftpflichtansprüchen nur Schadensersatzansprüche erfasst sein sollen.[81] Unter die "gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen" privatrechtlichen Inhalts lassen sich daher alle vertraglichen oder vertragsähnlichen, die deliktischen und quasideliktischen sowie sonstigen Ansprüche fassen, die den Ausgleich eines Schadens gewährleisten.[82] Dabei kommt es nicht darauf an, ob die gesetzlichen Ansprüche beispielsweise "Verschulden" voraussetzen, so dass auch sog. Gefährdungshaftungstatbestände (z.B. § 1 ProdHaftG oder § 84 AMG) vom Produkthaftpflichtmodell erfasst sind.[83] In den Anwendungsbereich des Produkthaftpflicht-Modells fallen damit die nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Vorschriften der §§ 280 ff., 311 Abs. 2 BGB (früher: ungeregelt als "culpa in contrahendo"), ebenso wie die Schadensersatzansprüche aus Vertrag, also Ansprüche nach den §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 BGB – wenn auch mit zahlreichen Ausschlusstatbeständen (vgl. Ziff. 7 AHB).[84] Von Bedeutung im Zusammenhang mit der Produkthaftung ist es, darauf hinzuweisen, dass auch Ausgleichsansprüche nach § 426 Abs. 1 und 2 BGB vom Begriff der gesetzlichen Haftpflicht erfasst sind,[85] ferner auch Ansprüche aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG als Schadenersatzansprüche "privatrechtlichen Inhalts".[86]

Problematischer erscheint die Frage, ob und inwieweit Ansprüche aus § 1004 BGB – wenn also der Versicherungsnehmer auf Unterlassung von Beeinträchtigungen des Eigentums oder Besitzes eines Dritten in Anspruch genommen wird – als gesetzliche Haftpflichtbestimmung angesehen werden können.[87]

Ergänzt sei – im Zusammenhang mit produkthaftungsrechtlichen Aufwendungsersatzansprüchen – insbesondere, dass Ansprüche nach den §§ 670, 683 BGB – also Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag – grundsätzlich keine Schadensersatzansprüche sind. Dies kann jedoch anders sein, wenn die Geschäftsführung darin besteht, dass ein anderer die Schadensersatzverpflichtung des Versicherungsnehmers erfüllt. Dann tritt nämlich dessen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer anstelle des Anspruchs des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer, so dass dem Versicherungsnehmer dann Deckungsschutz zu gewähren ist. Dies gilt auch dann, wenn dem Beauftragten oder Geschäftsführer Ansprüche deshalb zugebilligt werden, weil er bei seiner Tätigkeit selbst zu Schaden gekommen ist.[88]

 

Rz. 26

Für die Deckung ist es ohne Bedeutung, ob es sich um Haftungsnormen des nationalen bzw. des ausländischen Rechts handelt.[89] Bei Anspruchskonkurrenz ist es entscheidend, dass ein Anspruch – mag dieser vertraglich, deliktisch oder quasideliktisch gedeckt sein – vom Versicherungsschutz erfasst wird; in diesem Fall besteht dann Deckungsschutz. Nichts anderes gilt bei konkurrierenden privatrechtlichen Ansprüchen mit öffentlich-rechtlichen. Im letzteren Falle besteht Versicherungsschutz, wenn der privatrechtliche gedeckt ist.[90]

[81] Späte, § 1 AHB Rn 127 f.
[82] Vgl. Prölss/Martin/Lücke, § 1 AHB Rn 6 ff.; Späte, § 1 AHB Rn 127 f.
[83] Späte, § 1 AHB Rn 130.
[84] Prölss/Martin/Lücke, § 1 AHB Rn 7 ff., insb. 9; GDV-Rundschreiben 1339/2002-H28/02M; ebenso Littbarski, Produkthaftpflichtversicherung, Ziff. 1 Rn 28; vgl. auch Beuck, VersR 2003, 1097/9; a.A. Graf von Westphalen, NVersZ 2002, 241, 243; ders., VP 2004, 157, 160.
[85] Vgl. LG Hamburg VersR 1994, 299 – Rettungsinsel, mit Anm. Harms; vgl. aber auch BGH VersR 2003, 901; BGH r+s 1997, 265 ff.
[86] Prölss/Martin/Lücke, § 1 AHB Rn 18; vgl. zur Amtshaftung der EU-Kommission wegen Meldungen über Produktgefahren im EU-Schnellwarn-System auch Moelle, StoffR 2004, 237 ff. und zu Ansprüchen analog § 8 Abs. 5 S. 4 GPSG a.F. (jetzt § 26 ProdSG 2011), Deckenbrock/Dötsch, StoffR 2004, 232 ff.
[87] In der Literatur wird bisweilen vertreten, für diese Ansprüche brauche der Haftpflichtversicherer nicht einzutreten, weil eben kein Schadensersatzanspruch gegeben sei (Prölss/Martin/Lücke, § 1 AHB Rn 14); vgl. demgegenüber aber auch BGH r+s 2000, 100 ff.
[88] Vgl. Palandt/Sprau, § 670 Rn 3, 8 ff. sowie Prölss/Martin/Lücke, § 1 AHB Rn 13.
[89] Vgl. Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 50 Rn 38 a.F.; dazu auch Foerste/Graf von Westphalen/Mühlbauer, § 66 Rn 7.
[90] Zur Anspruchskonkurrenz Prölss/Martin/Lücke, § 1 AHB Rn 20.

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