Rz. 146

BGH, Urt. v. 16.9.2014 – VI ZR 55/14, VersR 2015, 82

Zitat

ZPO §§ 318, 321a, 543 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 103 Abs. 1

Lässt das Berufungsgericht auf eine Anhörungsrüge hin die Revision nachträglich zu, bindet die Zulassungsentscheidung das Revisionsgericht nicht, wenn bei der vorangegangenen Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht vorgelegen hat.

a) Der Fall

 

Rz. 147

Die Parteien stritten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 23.2.2012. Die volle Einstandspflicht der Beklagten war dem Grunde nach unstreitig. Im Streit stand insbesondere die Höhe der Nettoreparaturkosten, die der Kläger fiktiv auf Gutachtenbasis ersetzt verlangte.

Der Kläger hatte diese für sein viereinhalb Jahre altes Fahrzeug mit 4.376,36 EUR beziffert und mit der Klage nach Erstattung eines Teilbetrags in Höhe von 3.453,82 EUR durch die Beklagte einen Restbetrag von 922,54 EUR sowie restliche Sachverständigenkosten in Höhe von 120,81 EUR verlangt. Der von ihm berechnete Betrag sind die Kosten, welche eine markengebundene BMW-Werkstatt, die 1,2 km entfernt von seinem Wohnsitz war, verlangt hätte. Demgegenüber meinte die Beklagte, dem Kläger seien nur Kosten zu erstatten, welche eine von ihr benannte Werkstatt in Rechnung stelle, die eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit biete.

 

Rz. 148

Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 27,71 EUR stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat in seinem Urteil, welches dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10.12.2013 zugestellt worden ist, die Revision nicht zugelassen, da die Kammer bereits in einer anderen Sache mit identischer Rechtsfrage die Revision zugelassen habe. Auf die "Gehörsrüge" des Klägers hat es durch Beschl. v. 13.1.2014 die Revision doch noch zugelassen. Mit der am 10.2.2014 eingelegten Revision verfolgte der Kläger seinen Berufungsantrag auf Zahlung weiterer 1.015,64 EUR weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 149

Die Revision war unzulässig, weil die Zulassungsentscheidung unstatthaft und verfahrensrechtlich nicht bindend war.

Das Revisionsgericht ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 2 ZPO grundsätzlich an die Zulassung auch dann gebunden, wenn die seitens des Berufungsgerichts für maßgeblich erachteten Zulassungsgründe aus Sicht des Revisionsgerichts nicht vorliegen. Durfte die Zulassung dagegen verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden, ist sie unwirksam. Das gilt auch für eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, die die Bindung des Gerichts an seine eigene Endentscheidung gemäß § 318 ZPO außer Kraft setzen würde. So kann die versehentlich unterlassene Zulassung nicht durch ein Ergänzungsurteil gemäß § 321 ZPO nachgeholt werden. Befasst sich das Berufungsurteil nämlich nicht ausdrücklich mit der Zulassung, spricht es damit aus, dass die Revision nicht zugelassen wird, und zwar auch dann, wenn das Berufungsgericht die Möglichkeit der Zulassung gar nicht bedacht hat. Auch die Zulassung in einem Berichtigungsbeschluss gemäß § 319 ZPO bindet das Revisionsgericht nicht, wenn sich aus dem Urteil selbst keine – auch für Dritte erkennbare – offenbare Unrichtigkeit ergibt. Nichts anderes gilt, wenn das Berufungsgericht – wie hier – seine bewusste Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, verfahrensfehlerhaft aufgrund einer Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO ändert.

 

Rz. 150

Die Entscheidung des Berufungsgerichts war schon deshalb verfahrensfehlerhaft, weil es nicht durch Beschluss entscheiden durfte, sondern gemäß § 321a Abs. 5 S. 2 ZPO erneut in die mündliche Verhandlung hätte eintreten und gemäß § 321a Abs. 5 S. 3 ZPO i.V.m. § 343 ZPO durch Urteil entscheiden müssen. Ob dies für sich genommen einer wirksamen Zulassung entgegenstand, konnte offen bleiben. Denn auch in der Sache lagen die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 321a ZPO nicht vor.

 

Rz. 151

Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daran fehlte es hier. Die unterbliebene Zulassung der Revision als solche kann den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen, es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Parteien ist verfahrensfehlerhaft übergangen worden. Art. 103 Abs. 1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Sachvortrags der Prozessbeteiligten beruhen. Sein Schutzbereich ist auf das von dem Gericht einzuhaltende Verfahren, nicht aber auf die Kontrolle der Entscheidung in der Sache gerichtet.

 

Rz. 152

Entgegen der Auffassung des Landgerichts lag offensichtlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die für die Ablehnung der Zulassung im Urt. v. 20.11.2013 erheblich war. Gemäß dem Protokoll hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 20.11.2013 beantragt, die Revision gegen ein Urteil der Kammer zuzulassen....

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