Rz. 53
Zitat
EGV 44/2001 Art. 27, 28 Abs. 1
1. |
Die für die Aussetzung gemäß Art. 27 EuGVVO erforderliche Parteiidentität ist zu verneinen, wenn der in Deutschland ansässige Beteiligte eines Verkehrsunfalls seine unfallbedingten Schadensersatzansprüche gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer bei seinem deutschen Wohnsitzgericht einklagt, nachdem zuvor der ausländische Unfallbeteiligte wegen seiner Ansprüche Klage gegen ihn bei den Gerichten des anderen EU-Staats erhoben hat. |
2. |
Zu den Kriterien, nach denen über die Aussetzung eines Rechtsstreits gemäß Art. 28 Abs. 1 EuGVVO zu entscheiden ist. |
a) Der Fall
Rz. 54
Der in Deutschland wohnhafte Kläger nahm die Beklagte zu 1, den in Belgien ansässigen Haftpflichtversicherer des Unfallgegners (im Folgenden: Beklagte), wegen eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch. Der Unfall ereignete sich am 4.7.2008 in Belgien. Die Parteien stritten in erster Linie darüber, ob der vorliegende beim Landgericht Konstanz anhängig gemachte Rechtsstreit im Hinblick auf ein Verfahren vor belgischen Gerichten hätte ausgesetzt werden müssen. In jenem Verfahren verlangt der Unfallgegner des Klägers, der frühere Beklagte zu 2, seinerseits Schadensersatz vom Kläger.
Rz. 55
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 5.348,50 EUR nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wandte sich die Beklagte mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Sie erstrebte die Abweisung der Klage. Hinsichtlich des Beklagten zu 2 ist die Klage in den Vorinstanzen durch Prozessurteil rechtskräftig abgewiesen worden.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 56
Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, den Rechtsstreit nicht nach Art. 27, 28 EuGVVO auszusetzen, kann mit der Revision angegriffen werden. Das Verfahren der Aussetzung nach Art. 27, 28 EuGVVO bestimmt sich nach nationalem Recht. Nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung kann das Oberlandesgericht in seinen Beschlüssen die Rechtsbeschwerde zulassen. Wenn ein gesonderter Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung anfechtbar sein kann, muss auch eine Überprüfung der in einem Urteil ausgesprochenen Ablehnung im Rahmen der Revision möglich sein.
Rz. 57
Die Revision wandte sich nicht gegen die zutreffende Annahme der Vorinstanzen, dass der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, nach Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (vgl. Senatsurt. v. 6.5.2008 – VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276 Rn 4 ff. = zfs 2008, 572; v. 23.10.2012 – VI ZR 260/11, zfs 2013, 028 = VersR 2013, 73 Rn 20; EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C-463/06, zfs 2008, 139 = VersR 2008, 111 Rn 21 ff. – Odenbreit).
Rz. 58
Die Revision beanstandete ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht eine Aussetzung des Rechtsstreits nach Art. 27 EuGVVO abgelehnt hat.
Rz. 59
Art. 27 EuGVVO regelt, dass dann, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzt, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht (Abs. 1), und dass, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig erklärt. Die Klage ist im letztgenannten Fall als unzulässig abzuweisen.
Rz. 60
Art. 27 EuGVVO ist den Prozessvoraussetzungen und damit der Zulässigkeit der Klage zuzuordnen. Die Vorschrift normiert ebenso wie das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO eine negative Prozessvoraussetzung. Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, auch EuGVO oder Brüssel I-VO genannt, in Kraft getreten am 1.3.2002) ersetzt in den Grenzen ihres zeitlichen, räumlichen und sachlichen Anwendungsbereichs das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ, BGBl II 1972, S. 774). Sie war im Streitfall nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuGVVO anzuwenden. Das vor belgischen Gerichten anhängige Verfahren stellt ebenso wie das vorliegende Verfahren eine Zivilsache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuGVVO dar. Dem stand nicht entgegen, dass es sich bei dem dortigen Verfahren um ein Adhäsionsverfahren handelte (vgl. auch Art. 5 Nr. 4 EuGVVO).
Rz. 61
Die Zivilklage auf Ersatz des Schadens, der einem Einzelnen durch eine strafbare Handlung entstanden ist, hat zivilre...