Rz. 118

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie war auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich war (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzte die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hatte die in § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO normierten Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise verwehrt.

 

Rz. 119

Die Rechtsbeschwerde war auch begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügte die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO.

 

Rz. 120

Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Fall 1, § 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser – zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich – diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleiten. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus Sicht des Berufungsführers infrage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind.

 

Rz. 121

Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 513 Abs. 1 Fall 2 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind.

 

Rz. 122

Diesen Anforderungen genügte die Berufungsbegründung. Die Klägerin hatte darin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und aus welchen Gründen sie die teilweise Abweisung ihrer Klage durch das Landgericht für rechtsfehlerhaft und eine erneute – ihr günstige – Beurteilung durch das Berufungsgericht für geboten hielt.

Die Klägerin hatte in der Berufungsbegründung klar zu erkennen gegeben, dass sie die – für die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge erhebliche – Würdigung des Landgericht angreifen möchte, sie habe einen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen die Anzeigepflicht beim Abbiegen nicht bewiesen. Mit dem Vorbringen, das Landgericht habe die Zeugenaussage ihres Ehemannes als "leicht verarmt" und damit nicht überzeugend gewürdigt, ohne sich einen persönlichen Eindruck verschafft zu haben (§ 355 ZPO), hatte die Klägerin einen Verfahrensfehler gerügt, der dem Landgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sein sollte. Damit hat sie einen konkreten Anhaltspunkt aufgezeigt, der aus ihrer Sicht Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen begründet.

 

Rz. 123

Die Klägerin hatte darüber hinaus geltend gemacht, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen die erhöhte Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO verneint. Denn bei dem Parkplatz, auf den der Beklagte zu 1 abgebogen sei, handle es sich um ein Grundstück im Sinne dieser Bestimmung. Da sich der Unfall beim Abbiegen in das Grundstück ereignet habe, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu 1. Diesen Beweis habe der Beklagte nicht widerlegt. Er habe bereits nicht schlüssig dargetan, den Blinker nach links betätigt zu haben.

 

Rz. 124

Soweit das Berufungsgericht in der Berufungsbegründung eine Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Rechtsverstöße vermisste...

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