Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 24
Grundsätzlich ist nach § 249 BGB der Schaden des Geschädigten konkret zu berechnen. Dabei kommt ihm der Grundsatz der freien Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO und, soweit es sich um entgangenen Gewinn handelt, auch die Beweiserleichterung des § 252 S. 2 BGB zugute. Bei bestimmten Schadensgruppen sind gewisse Typisierungen unumgänglich, so insbesondere bei Erwerbsschäden, bei der Errechnung des merkantilen Minderwertes, beim Schadensersatz für entgangene Nutzungen und beim Preisansatz für marktgängige Waren. Diese Typisierung ändert nichts an der konkreten Berechnungsart, die dem Ausgleichsprinzip am besten gerecht wird.
Rz. 25
Abstrakte Schadensberechnung wird verstanden als eine von den Umständen des Einzelfalles losgelöste Festlegung des Schadens, die auch dann maßgeblich sein soll, wenn die Ermittlung der konkreten Einbußen zu einem abweichenden Ergebnis gelangen müsste. Eine in diesem Sinne abstrakte Schadensberechnung sieht das BGB in den Vorschriften über die gesetzlichen Verzugszinsen, § 288 BGB, und über die Zinspflicht des Deliktschuldners, § 849 BGB, vor. Auch § 252 S. 2 BGB erlaubt eine abstrakte Schadensberechnung. § 287 ZPO gilt für die Schadenshöhe, nicht aber für die haftungsbegründende Kausalität. Insoweit gilt § 286 ZPO.
Zur Möglichkeit auf der Basis "fiktiver Reparaturkosten" abzurechnen vgl. § 14 Rdn 8, 38 ff.
Rz. 26
Neuerdings wird mit Hinweis auf ein Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs versucht, das Ende der fiktiven Schadensabrechnung herbeizureden. Dieser Versuch kann keinen Erfolg haben. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB lässt die fiktive Abrechnung zu; was auch der VII. Zivilsenat nicht verkennt. Zudem brächte eine Abschaffung der fiktiven Abrechnung beim Kfz-Schaden weder der Versicherungswirtschaft noch den meisten Geschädigten besondere Vorteile. Immerhin hat sich der 58. Deutscher Verkehrsgerichtstag (29. bis 31. Januar 2020 in Goslar) mit dem Thema "Abschied vom fiktiven Schadensersatz?" beschäftigt.
Rz. 27
Der Bundesgerichtshof hat zu Recht klargestellt, dass bei einer fiktiven Schadensabrechnung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die erforderlichen Reparaturkosten auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten umfassen und hat dabei auf Folgendes hingewiesen: Nach ständiger Rechtsprechung darf der Geschädigte seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Die Berücksichtigung fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei der Berechnung der erstattungsfähigen Reparaturkosten widerspricht weder dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch dem Bereicherungsverbot. Denn das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten ist um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren. Zu den erforderlichen Wiederherstellungskosten gehören grundsätzlich auch allgemeine Kostenfaktoren wie Umsatzsteuer, Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Deshalb hat der Bundesgerichtshofs vor dem Inkrafttreten des Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes bei einer "fiktiven" Schadensabrechnung die Mehrwertsteuer beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten als echten Schadensposten anerkannt und ausgeführt, der steuertechnisch bedingte getrennte Ausweis der Mehrwertsteuer ändere nichts daran, dass sie als objekt- bzw. leistungsbezogene allgemeine Abgabe auf den Verbrauch nicht weniger ein allgemeiner Kostenfaktor sei als andere öffentliche Abgaben, welche direkt oder indirekt in die Kosten und damit in den Preis einer Ware oder Leistung Eingang gefunden haben.
Rz. 28
Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz in § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Erstattung nicht angefallener Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom Schadensersatzanspruch ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen – systemwidrigen – Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist. Der Bundesgerichtshof weist weiter darauf hin, dass sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, dass der Entwurf eines Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes aus der 13. Legislaturperiode zunächst vorsah, bei einer fiktiven Abrechnung von Sachschäden die öffentlichen Abgaben außer Ansatz zu lassen. Dieser Vorschlag ist indes auf vielfältige Kritik gestoßen. Dieser Kritik hat der Gesetzgeber im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen und auf einen Abzug sämtlicher öffentlicher Abgaben bewusst verzichtet und sich auf die Umsatzsteuer als größten Faktor unter den "durchlaufenden Posten" beschränkt. Fehlt es mithin an einer Regelungslücke, kommt eine entsprechende Anwendung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB auf andere "öffentliche Abgaben" nicht in Betracht. Soweit es nach den Gesetzesmaterialien der Rechtsprechung überlassen werden sollte, das Sachschadensrecht "zu konkretisieren und zu entw...