Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialabgaben und Lohnnebenkosten als Schaden i.S.v. § 249 BGB
Leitsatz (amtlich)
Bei einer (fiktiven) Schadensabrechnung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB umfassen die erforderlichen Reparaturkosten auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 03.02.2012; Aktenzeichen 14 S 2923/11) |
AG Landshut (Entscheidung vom 11.11.2011; Aktenzeichen 3 C 1860/11) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Landshut vom 3.2.2012 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger verlangt von dem beklagten Haftpflichtversicherer restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 24.8.2011, bei dem sein Kraftfahrzeug beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit. Der Kläger hat die Reparaturkosten für das unfallbeschädigte Fahrzeug fiktiv auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens geltend gemacht, welches Nettoreparaturkosten i.H.v. 600,69 EUR ausweist, von denen 155,80 EUR auf den Arbeitslohn entfallen. Die Beklagte hat den fiktiven Arbeitslohn vorgerichtlich unter Abzug von 10 % wegen nicht angefallener Sozialabgaben und Lohnnebenkosten erstattet. Das AG hat dem Kläger den mit der Klage geltend gemachten Differenzbetrag von 15,58 EUR nebst Zinsen hieraus zuerkannt. Die zugelassene Berufung der Beklagten hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Abzug für Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung nicht geboten, da der Gesetzgeber bewusst die Neuregelung in § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf die Umsatzsteuer beschränkt habe. Auch wenn es der Gesetzgeber im Übrigen der Rechtsprechung habe überlassen wollen, das Sachschadensrecht zu konkretisieren und weiterzuentwickeln, sei daraus nicht zu folgern, dass nach dem Willen des Gesetzgebers sämtliche öffentlichen Abgaben bei einer fiktiven Reparaturkostenabrechnung abgezogen werden sollten. Hätte es dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, auch insoweit Einschränkungen vorzunehmen, so hätte er dies selbst getan.
II.
Rz. 3
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Revision sind Sozialabgaben und Lohnnebenkosten Bestandteile des im Rahmen einer "fiktiven" Schadensabrechnung i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nach einem Verkehrsunfall zu erstattenden Schadens.
Rz. 4
1. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, wenn wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Geschädigte dabei seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.2003 - VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1 ff.; v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rz. 8; v. 22.6.2010 - VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096, 1097; v. 22.6.2010 - VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 f.; v. 13.7.2010 - VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380 f.).
Rz. 5
2. Entgegen der Auffassung der Revision widerspricht die Berücksichtigung fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei der Berechnung der erstattungsfähigen Reparaturkosten weder dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch dem Bereicherungsverbot. Denn das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten ist um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren. Zu den erforderlichen Wiederherstellungskosten gehören, wie sich aus dem von der Revision selbst in Bezug genommenen Senat, Urt. v. 19.6.1973 - VI ZR 46/72 (BGHZ 61, 56, 58 f.) ergibt, grundsätzlich auch allgemeine Kostenfaktoren wie Umsatzsteuer, Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Deshalb hat der Senat in der vorgenannten Entscheidung vor dem Inkrafttreten des Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes bei einer "fiktiven" Schadensabrechnung die Mehrwertsteuer beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten als echten Schadensposten anerkannt und ausgeführt, der steuertechnisch bedingte getrennte Ausweis der Mehrwertsteuer ändere nichts daran, dass sie als objekt- bzw. leistungsbezogene allgemeine Abgabe auf den Verbrauch nicht weniger ein allgemeiner Kostenfaktor sei als andere öffentliche Abgaben, welche direkt oder indirekt in die Kosten und damit in den Preis einer Ware oder Leistung Eingang gefunden haben.
Rz. 6
3. Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz in § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB die Erstattung nicht angefallener Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom Schadensersatzanspruch ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen - systemwidrigen - Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 249 Rz. 14; Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus, BGB, 7. Aufl., § 249 Rz. 29; Oetker in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 249 Rz. 459; Beck-OK-BGB/Schubert, Stand: 03/2011, § 249 Rz. 226 f.; AG Worms, Urt. v. 5.1.2012 - 2 C 399/11; AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urt. v. 2.5.2012 - 2 C 79/12; AG Bielefeld, Urt. v. 29.5.2012 - 402 C 124/12; AG St. Goar, Urt. v. 16.9.2011 - 33 C 406/11, juris Rz. 9; a.A. Clos, r+s 2011, 277 ff. m.w.N.).
Rz. 7
a) Die Revision weist selbst darauf hin, dass sich aus den Gesetzesmaterialien (vgl. insb. BT-Drucks. 14/7752, 13) ergibt, dass der Entwurf eines Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes aus der 13. Legislaturperiode zunächst vorsah, bei einer fiktiven Abrechnung von Sachschäden die öffentlichen Abgaben außer Ansatz zu lassen. Dieser Vorschlag ist indes auf vielfältige Kritik gestoßen. Dieser Kritik hat der Gesetzgeber im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen und auf einen Abzug sämtlicher öffentlicher Abgaben bewusst verzichtet und sich auf die Umsatzsteuer als größten Faktor unter den "durchlaufenden Posten" beschränkt. Fehlt es mithin an einer Regelungslücke, kommt eine entsprechende Anwendung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf andere "öffentliche Abgaben" nicht in Betracht.
Rz. 8
b) Soweit es nach den Gesetzesmaterialien der Rechtsprechung überlassen werden sollte, das Sachschadensrecht "zu konkretisieren und zu entwickeln", vermag dies dem Senat nicht den Weg zu einer Abweichung vom geltenden Recht und zu einer von der Revision erwünschten, aber vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Gleichstellung von Umsatzsteuer und anderen "öffentlichen Abgaben" zu eröffnen.
Rz. 9
c) Entgegen der Auffassung der Revision führt eine Erstattung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrags gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ohne Abzug von Sozialabgaben und Lohnnebenkosten nicht zwangsläufig zu einer Überkompensation des Geschädigten. Sie ist vielmehr lediglich die rechtliche Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach der Geschädigte bei der Beschädigung einer Sache statt der Naturalrestitution i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB Geldersatz verlangen kann (sog. Ersetzungsbefugnis). Zu ersetzen ist dabei das Integritätsinteresse, d.h. der Geldbetrag, der zur Herstellung des Zustands erforderlich ist, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Daneben ist der Geschädigte, der auf diese Weise die Beseitigung der erlittenen Vermögenseinbuße verlangt, in der Verwendung des Schadensersatzbetrags frei, d.h. er muss den ihm zustehenden Geldbetrag nicht oder nicht vollständig für eine ordnungsgemäße Reparatur in einer (markengebundenen) Fachwerkstatt einsetzen (sog. Dispositionsbefugnis). Die Revisionserwiderung weist mit Recht darauf hin, dass die Sichtweise der Revision zur Beseitigung dieser Dispositionsbefugnis führen würde, die mit einer missbräuchlichen Bereicherung des Geschädigten nichts zu tun hat. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur des unfallbeschädigten Fahrzeugs, so bleibt der entsprechende Wertverlust des Fahrzeugs bestehen. Wählt er eine Eigen-, Teil- oder Billigreparatur außerhalb einer Fachwerkstatt, kann damit ebenfalls ein Wertverlust des Fahrzeugs einhergehen. Entgegen der Auffassung der Revision kann nicht unterstellt werden, dass der Wert des Fahrzeugs nicht dadurch beeinflusst wird, ob bei der Reparatur Sozialabgaben, Lohnnebenkosten und Umsatzsteuer angefallen sind. Vielmehr spielt es beim Verkauf eines Fahrzeugs mit einem früheren Unfallschaden nach allgemeiner Lebenserfahrung durchaus eine Rolle, ob der Unfallschaden vollständig und fachgerecht in einer markengebundenen oder sonstigen Fachwerkstatt behoben worden ist.
Rz. 10
d) Schließlich kann der Auffassung der Revision nicht beigetreten werden, ein Abzug der Lohnnebenkosten und Sozialabgaben bei fiktiver Abrechnung eines Kfz-Sachschadens führe zu einer Harmonisierung des Schadensersatzrechts im Hinblick auf die Rechtslage bei der Abrechnung eines Haushaltsführungsschadens bei Personenschäden. Die von der Revision angeführten Senatsentscheidungen betreffen andere Fallgestaltungen (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.1986 - VI ZR 128/85, VersR 1987, 70 Rz. 21; v. 8.6.1982 - VI ZR 314/80, VersR 1982, 951 Rz. 16 ff.; v. 10.11.1998 - VI ZR 354/97, BGHZ 140, 39, 44). Die i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen (Gesamt-) Reparaturkosten eines Kraftfahrzeuges nach einem Verkehrsunfall setzen sich aus vielen einzelnen Kostenfaktoren zusammen und lassen sich schadensrechtlich nicht aufspalten in einen "angefallenen" und einen "nicht angefallenen" Teil. Dies wäre in der Rechtspraxis nicht handhabbar und würde dem Geschädigten sowohl die Ersetzungsbefugnis als auch die Dispositionsfreiheit i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 3683445 |
BGHZ 2013, 190 |
BB 2013, 833 |
NJW 2013, 1732 |
NJW 2013, 6 |
NWB 2013, 1272 |
EBE/BGH 2013, 122 |
EWiR 2013, 439 |
JR 2013, 534 |
JurBüro 2013, 444 |
DAR 2013, 257 |
JZ 2013, 290 |
MDR 2013, 586 |
NJ 2013, 340 |
NJ 2013, 4 |
NZV 2013, 333 |
NZV 2013, 4 |
VRS 2013, 261 |
VersR 2013, 637 |
ZfS 2013, 502 |
BauSV 2014, 74 |
NJW-Spezial 2013, 234 |
SVR 2014, 379 |
VRA 2013, 74 |
VRR 2013, 162 |
VRR 2013, 259 |
r+s 2013, 254 |
DS 2013, 364 |