Rz. 97

Auf Basis der richtungsweisenden Entscheidung des BVerfG[159] hatte der Gesetzgeber mit einem Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts[160] einerseits die Wertermittlungsvorschriften mit der Zielvorgabe einer rechtsformneutralen Ermittlung von Verkehrswerten modifiziert, andererseits aber auch ein komplexes System zur Begünstigung von Betriebsvermögen installiert. Anwendbar war das "neue" Recht prinzipiell ab dem 1.1.2009.[161]

 

Rz. 98

Mit Entscheidung vom 17.12.2014 ist das Bundesverfassungsgericht jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass auch das ab 1.1.2009 gültige "neue" Recht insoweit nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen war, als dass die Betriebsvermögensbegünstigungen zu pauschal angewendet wurden und die Lohnsummenregelung zu kurz griff. Der Gesetzgeber hat daraufhin mit einem "Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG"[162] reagiert, anwendbar für Erwerbe ab dem 1.7.2016 (§ 37 Abs. 12 S. 1 ErbStG). Mit diesem Erbschaftsteueranpassungsgesetz wurden die Betriebsvermögensbegünstigungen durch das Herausfiltern von begünstigtem Vermögen aus begünstigungsfähigem Vermögen zielgenauer ausgestaltet, für Großerwerbe kommt es zur Abschmelzung des Verschonungsabschlags bzw. bei Überschreiten bestimmter Wertgrenzen ist prinzipiell nur noch ein Steuererlass denkbar.

Das Regelungsgefüge ist komplex. Es wird zu erwarten sein, dass sich die Finanzgerichtsbarkeit in den folgenden Jahren im Detail noch mit dem Regelungsdickicht und der zum Teil sehr strittigen Auffassung der Finanzverwaltung in den sie bindenden Verlautbarungen[163] auseinandersetzen wird müssen.

 

Rz. 99

Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die Bewertung des Betriebsvermögens gegeben und sodann auf die wesentlichen Möglichkeiten der Betriebsvermögensbegünstigungen eingegangen werden. Der Fokus liegt dabei auf mittelständischen Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen. Auf die Vielzahl von Detail- und Auslegungsfragen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

 

Rz. 100

Bei der Bewertung des unternehmerischen Vermögens für Erbschaftsteuerzwecke (§ 12 Abs. 2 und 5 ErbStG) steht – sofern eine marktwertorientiere Ableitung aus Verkäufen, die weniger als ein Jahr zurückliegen, ausscheidet (§ 11 Abs. 2 S. 2 BewG) – eine ertragswertorientierte Wertermittlungssystematik im Vordergrund. Der gemeine Wert als Zielgröße (§ 11 Abs. 2 S. 1 BewG für Anteile an Kapitalgesellschaften, § 109 i.V.m. § 11 Abs. 2 BewG für Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteile an Personengesellschaften) lässt sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers durch ein vereinfachtes Ertragswertverfahren (§§ 199203 BewG) ermitteln, sofern die Anwendung dieses Verfahrens nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt.[164] Vom Prinzip her werden im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens die um Sondereffekte bereinigten Jahresergebnisse der letzten drei Wirtschaftsjahre mit einem Kapitalisierungsfaktor multipliziert, ohne dass die Werte einzelner Wirtschaftsgüter oder Schulden zunächst interessieren (ertragswertorientiertes Gesamtbewertungsverfahren). Gleichwohl fordert der Gesetzgeber zu Vergleichszwecken eine isolierte Wertfindung auch für die einzelnen Wirtschaftsgüter und Schulden, um den sich hieraus ergebenden Saldo mit dem Gesamtwert vergleichen zu können (§ 11 Abs. 2 S. 3 BewG). Denn dieser Saldo, zu verstehen als "Substanzwert", darf durch den aus dem Gesamtbewertungsverfahren ermittelten Wert nicht unterschritten werden.[165] Alternativ – jedoch meist aufwändiger und kostenintensiver – kann die Wertfindung durch eine nach den anerkannten Regeln der Betriebswirtschaft erstellte Unternehmensbewertung[166] erfolgen. Die Bewertungspraxis orientiert sich hier an den Stellungnahmen und Praxishinweisen des Instituts der Wirtschaftsprüfer.[167]

 

Rz. 101

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen[168] ist bei Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens separat zu bewerten und zu berücksichtigen. Dazu zählen solche Wirtschaftsgüter und Schulden i.S.v. § 200 Abs. 2 BewG, die für die originäre Unternehmenstätigkeit nicht zwingend erforderlich sind (tendenziell also gewillkürtes Betriebsvermögen im ertragsteuerlichen Sinne). Ergebnisbestandteile hieraus werden zunächst aus den zu kapitalisierenden Jahreserträgen ausgeklammert und sodann das nicht betriebsnotwendige Vermögen mit dessen gemeinen Werten (Wirtschaftsgüter und Schulden) angesetzt. Gleiches gilt generell für Beteiligungen an anderen Gesellschaften (§ 200 Abs. 3 BewG), was eine große Bedeutung bei der Bewertung von Konzernstrukturen erlangt, sowie innerhalb von zwei Jahren vor dem Bewertungsstichtag eingelegte Wirtschaftsgüter (§ 200 Abs. 3 BewG). Negative Auswirkungen können sich insbesondere in den Fällen ergeben, in denen das nicht betriebsnotwendige Vermögen zugleich als Verwaltungsvermögen qualifiziert, z.B. zu fremden gewerblichen Zwecken vermietete Grundstücke oder Grundstücksteile.

 

Rz. 102

Der nach dieser Systematik fes...

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