Rz. 42
Ein Anwaltsnotar kann eine Treuhandtätigkeit übernehmen und ausführen entweder als Rechtsanwalt im Rahmen eines privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 Abs. 1 BGB) oder als Notar, der eine selbstständige, öffentlichrechtliche "Betreuung der Beteiligten auf dem Gebiete vorsorgender Rechtspflege" ausübt (§§ 23, 24 Abs. 1, 2 BNotO). Die Berechnung und Beitreibung der Gebühren für eine Anwalts- und eine Notartreuhand sind verschieden, ebenso die Voraussetzungen und Folgen einer Haftung. Die Zuordnung einer treuhänderischen Tätigkeit eines Anwaltsnotars ist – trotz der Vermutungstatbestände des § 24 Abs. 2 BNotO – regelmäßig schwierig, wenn – dies ist meistens der Fall – neben den Belangen des Auftraggebers auch ein gegenläufiges fremdes Interesse zu wahren ist.
Die Hilfsregeln des § 24 Abs. 2 BNotO werden nicht benötigt, wenn im Einzelfall unstreitig oder aufgrund der Umstände klar ist, dass es sich um eine anwaltliche oder eine notarielle Treuhand des Anwaltsnotars handelt.
In unklaren Fällen begründet § 24 Abs. 2 Satz 1 BNotO die unwiderlegbare Vermutung einer notariellen Tätigkeit, wenn die Handlung bestimmt ist, Amtsgeschäfte gem. §§ 20 bis 23 BNotO vorzubereiten oder auszuführen. Damit wird gewährleistet, dass Vorbereitungs- und Vollzugstätigkeiten eines Anwaltsnotars in sachlichem Zusammenhang mit Urkundsgeschäften dem Notarrecht unterliegen. Ob eine Zweckbestimmung i.S.d. Vorschrift vorliegt, richtet sich nach den objektiven Umständen, insb. nach Art und Schwerpunkt der Tätigkeit des Anwaltsnotars und der Sicht der Beteiligten.
Falls eine Tätigkeit des Anwaltsnotars nicht eindeutig dem anwaltlichen oder notariellen Bereich zuzuordnen ist und die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Satz 1 BNotO für die Vermutung eines notariellen Geschäfts nicht vorliegen, weil ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang mit einem Urkunds- oder Verwahrungsgeschäft (§§ 20 bis 23 BNotO) fehlt, enthält § 24 Abs. 2 Satz 2 BNotO die Auslegungsregel, dass "im Übrigen … im Zweifel anzunehmen" ist, der Anwaltsnotar sei als Rechtsanwalt tätig geworden. Da diese Regel nur "im Zweifel" gilt, muss zunächst versucht werden, diese Zweifel durch tatsächliche Feststellungen im Einzelfall auszuräumen. Auch insoweit sind die gesamten objektiven Umstände sowie die Vorstellungen der Beteiligten zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung verwendet folgende Abgrenzungsformel: Ist der Anwaltsnotar einseitig als Vertreter seines Auftraggebers zur Wahrung streitiger Interessen tätig geworden, so hat er als Rechtsanwalt gehandelt; ist der Anwaltsnotar dagegen als unparteiischer Betreuer aller Beteiligten im Rahmen vorsorgender Rechtspflege aufgetreten, so hat er ein notarielles Amtsgeschäft vorgenommen.
Rz. 43
Dieses Abgrenzungsmerkmal wird unscharf, wenn zu klären ist, ob eine mehrseitige Treuhandschaft dem anwaltlichen oder dem notariellen Bereich des Anwaltsnotars zuzuordnen ist. Dieser ist bei einer solchen Tätigkeit in jedem Falle zu einem Mindestmaß an Neutralität verpflichtet, weil er neben den Belangen des Auftraggebers auch Interessen anderer Beteiligter zu wahren hat. Insb. bei einer solchen Drittbegünstigung erfordert die Abgrenzung zwischen der anwaltlichen und notariellen Tätigkeit des Anwaltsnotars eine sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, die v.a. auf Art, Inhalt und Umfang der mit dem "Treuhandauftrag" verbundenen Pflichten abzustellen hat. Danach wird i.d.R. festgestellt werden können, ob eine Anwaltstreuhand – etwa als Vertrag zugunsten Dritter oder mit Schutzwirkung für Dritte (vgl. § 9 Rdn 9, § 10 Rdn 25) – oder eine Notartreuhand vorliegt, sodass dann nicht auf § 24 Abs. 2 Satz 2 BNotO zurückgegriffen werden muss.