Rz. 27

Nachdem der Beweisbeschluss erlassen und der Sachverständige durch das Gericht bestimmt wurde, kann der Sachverständige mit der Begutachtung und Beantwortung der in dem zugrunde liegenden Beweisbeschluss aufgestellten Fragen beginnen. Hierbei ist der Sachverständige grundsätzlich frei in seiner Vorgehensweise, allerdings steht dem Gericht gem. § 404a ZPO ein Leitungs- und Weisungsrecht gegenüber dem Sachverständigen zu.

1. Regelung des § 404a Abs. 3 ZPO

 

Rz. 28

Besondere praktische Relevanz kommt insoweit der Regelung des § 404a Abs. 3 ZPO zu, wonach das Gericht bei streitigem Sachverhalt zu bestimmen hat, welche Tatsachen der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde legen soll.[7] Dies gilt bei einem Verkehrsunfallgeschehen insbesondere dann, wenn zuvor bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt und im Rahmen dieser Zeugen angehört wurden, welche sich hinsichtlich des streitigen Unfallhergangs widersprochen haben. Es ist dann nicht die Aufgabe des Sachverständigen, diese Zeugenaussagen zu würdigen, sondern das Gericht hat dem Sachverständigen mitzuteilen, welche Zeugenaussagen er seiner Begutachtung zugrunde legen soll.[8]

Sollte keine Zeugenaussage aufgrund offenkundiger Unwahrheit von vornherein ausscheiden, so hat das Gericht dem Sachverständigen grundsätzlich aufzugeben, das Unfallgeschehen einmal unter Berücksichtigung der einen und einmal unter Berücksichtigung der anderen Unfallschilderung technisch aufzuklären.[9] Es obliegt dann nämlich nicht dem Sachverständigen, eine Würdigung der Zeugenaussagen vorzunehmen, welche seiner Meinung nach glaubhafter bzw. wahrscheinlicher ist, sondern der Sachverständige hat dann nur zu überprüfen, ob sich die technischen Anknüpfungstatsachen (Schadensbild, Spurenlage, Kollisionsendstellung, etc.) mit beiden Unfallvarianten in Einklang bringen lassen. Welche Unfallvariante das Gericht sodann nach diesem Ergebnis für wahrscheinlicher hält, obliegt alleine der Würdigung des Tatrichters (§ 286 ZPO).

Sollten sich die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen mit einer Unfallschilderung gar nicht in Einklang bringen lassen, d.h. nicht bloß keine Plausibilität gegeben sein, sondern feststehende bzw. festgestellte Tatsachen eindeutig entgegenstehen, so hat der Sachverständige hierauf selbstverständlich hinzuweisen und als Ergebnis in seinem Gutachten so festzuhalten, ohne dass hierin eine verbotene Würdigung des Sachverständigen liegt.

[8] BGH, Urt. v. 30.1.1957 – V ZR 186/55 = NJW 1957, 906.

2. Beschaffung der erforderlichen Tatsachen

 

Rz. 29

Im Verkehrsunfallprozess steht dem Sachverständigen im Ausgangspunkt zunächst die Gerichtsakte sowie ggf. die beigezogene amtliche Ermittlungsakte nebst der darin enthaltenen Einlassungen der Parteien und Zeugen, sofern zuvor bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, zur Verfügung. Weitere wichtige Anknüpfungstatsachen liefern bei einem Unfallgeschehen stets die Schadensgutachten zu den Schäden an den beteiligten Fahrzeugen sowie eventuell an der Unfallstelle angefertigte Lichtbilder, welche idealerweise noch die Unfallendstellung der Fahrzeuge zeigen.

 

Rz. 30

Aus diesem Grund wird der Sachverständige stets versuchen, die Original-Lichtbilddateien anstelle der in der Gerichtsakte befindlichen Ausdrucke zu erhalten. Zu diesem Zweck kann entweder eine Anfrage an die Parteien zur Überlassung dieser Dateien über das Gericht oder durch eine direkte Anfrage bei den Prozessbevollmächtigten der Parteien erfolgen.

In der Praxis ist es so, dass die Parteien in der Regel nicht über diese Originale verfügen. Sie sind bei den Schadengutachtern archiviert und werden direkt dort angefordert. Der Aufwand für das Heraussuchen, das Übertragen auf einen Datenträger und den Versand wird von dort üblicherweise in Rechnung gestellt und vom Gerichtsgutachter als Fremdrechnung in die eigene Abrechnung übernommen.

Wichtig ist, dass die Dateien in unkomprimierter Form zur Verfügung gestellt werden. Für die Qualität ist die Anzahl der Bildpunkte (Pixel) entscheidend. In den folgenden Abbildungen ist dies verdeutlicht. Beide Fotos erscheinen in den Totalen vollkommen identisch. Bei der Vergrößerung eines Bildausschnittes werden die Unterschiede aber deutlich, wenn die Pixel direkt angezeigt werden.

Stehen die unbearbeiteten Bilddateien zur Verfügung, lassen sich aus den abgespeicherten Metadaten im Exchangeable Image File Format (EXIF) zusätzliche Informationen wie Aufnahmedatum und -zeit, Brennweite, Blende, Belichtungsdauer und andere technische Parameter, ggf. auch geographische Koordinaten des Aufnahmeorts, gewinnen.

 

Rz. 31

Es mag selbstverständlich erscheinen, dass dem Gutachter vor Auftragserteilung ausreichende Informationen zu den Unfallfahrzeugen vorliegen. Es ist aber nicht selten, dass aus der Akte nur die amtlichen Kennzeichen hervorgehen. Da Fahrzeugparameter bei der Analyse essenziell sind, sollten diese von den Prozessparteien bereits vorab mitgeteilt werden. In Schadengutachte...

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