Dr. Michael Nugel, Dipl.-Ing. André Schrickel
Rz. 35
Nachdem der Sachverständige alle erforderlichen Feststellungen zur Beantwortung der Beweisfragen getroffen hat, erfolgt die Gutachtenerstattung, welche je nach Anordnung des Gerichts schriftlich oder mündlich erfolgen kann.
1. Schriftliches Gutachten
Rz. 36
Abb. 12.1 und 12.2: Fotos mit 10 Mio. Pixeln |
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Abb. 12.3 und 12.4: Fotos mit 1 Mio. Pixeln |
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Im Regelfall wird die Gutachtenerstattung gem. § 411 ZPO schriftlich erfolgen, auch wenn gesetzlich als Regelfall die mündliche Gutachtenerstattung durch Vernehmung des Sachverständigen vorgesehen ist (vgl. § 402 ZPO). Ob stattdessen eine schriftliche Begutachtung stattfinden soll, steht im Ermessen des Gerichts, ohne dass er hierzu einer Zustimmung der Parteien bedarf.
Sollte das Gericht den Parteien ausnahmsweise einmal die Wahlmöglichkeit überlassen, ob ein Gutachten schriftlich oder mündlich erstattet werden soll, so ist – vorbehaltlich besonderer Einzelfälle – stets anzuraten, eine schriftliche Begutachtung durch den Sachverständigen herbeizuführen, um sich in Ruhe – ggf. unter Hinzuziehung eines eigenen Sachverständigen – mit dem Ergebnis des Gutachtens auseinandersetzen zu können.
Rz. 37
Muster 12.5: Schriftliches Gutachten
Muster 12.5: Schriftliches Gutachten
Nehmen wir Bezug auf die Anfrage des Gerichts vom _________________________ und bitten, dem Sachverständigen aufzugeben, sein Gutachten schriftlich zu erstatten.
Dies hat gegenüber einer mündlichen Erstattung des Gutachtens den Vorteil, dass die Parteien und das Gericht sich deutlich umfassender mit dem Ergebnis der Begutachtung auseinandersetzen können, insbesondere bei komplexen technischen Vorgängen, wie sie vorliegend streitentscheidend sind, bei welchen ggf. noch eine Rücksprache mit eigenen beratenden Sachverständigen erforderlich sein wird.
Demgegenüber hat die mündliche Gutachtenerstattung den Nachteil, dass im Regelfall eine unmittelbare Reaktion auf das Ergebnis der Begutachtung noch im Termin zur mündlichen Verhandlung mangels der eigenen technischen Sachkunde der Parteien und der Prozessvertreter nicht möglich ist, so dass eine weitere schriftliche Stellungnahme erforderlich werden kann. Dies birgt die Gefahr, dass Übertragungsfehler auftreten, da gerade kein schriftliches Ergebnis des Gutachtens vorliegt.
Ferner besteht auch im Rahmen einer schriftlichen Begutachtung gem. § 411 Abs. 3 ZPO für das Gericht die Möglichkeit, den Sachverständigen bei Unklarheiten oder weiteren Rückfragen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden. Diese mündliche Erläuterung kann bei Vorliegen eines schriftlichen Gutachtens durch das Gericht und die Parteien deutlich besser vorbereitet werden, als wenn das Ergebnis der Begutachtung erstmalig im Termin zur mündlichen Verhandlung durch den Sachverständigen dargestellt wird.
2. Mündliches Gutachten
Rz. 38
Alternativ zu einer schriftlichen Gutachtenerstattung kann – auf entsprechende Anordnung des Gerichts – auch eine mündliche Gutachtenerstattung erfolgen, d.h. der Sachverständige präsentiert das Ergebnis seiner Begutachtung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung. Dieses Verfahren bietet gewisse Vor-, aber auch Nachteile.
Rz. 39
Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass schnell ein Ergebnis erzielt werden kann, da ggf. aufkommende Rückfragen direkt im Rahmen der mündlichen Gutachtenerstattung im Termin geklärt werden können. Sollten neben der schriftlichen Unfallschilderungen der Parteien auch noch Zeugen vorhanden sein, so ist der Sachverständige während der Vernehmung der Zeugen anwesend und kann seinerseits direkt Fragen stellen, welche aus seiner Sicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Relevanz sind.
Rz. 40
Dieser Vorteil einer mündlichen Gutachtenerstattung kann aber auch zugleich einen Nachteil darstellen. Anders als bei einer vorherigen schriftlichen Gutachtenerstattung mit anschließender mündlicher Erläuterung, ist den Parteien bei einer von vornherein angeordneten mündlichen Gutachtenerstattung das Ergebnis vorher nicht bekannt, so dass im Termin je nach Ergebnis des Gutachtens kurzfristig auf die Ausführungen des Sachverständigen reagiert werden muss. Dies kann im Einzelfall durchaus schwierig sein, wenn komplexe technische Hergänge streitig sind, welche ggf. ohne Rücksprache mit einem eigenen beratenden Sachverständigen für einen Juristen nicht zu bewerten sind.
Rz. 41
Eine mündliche Gutachtenerstattung bietet sich vor diesem Hintergrund daher lediglich für eher einfach gelagerte Alltagsfälle an. Sobald es komplizierter wird und ggf. eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Ergebnis des Gutachtens stattzufinden hat, bietet sich eine schriftliche Begutachtung an, da in diesem Fall nach Erhalt des Gutachtens ausreichend Zeit bleibt, die Feststellungen des Sachverständigen zu überprüfen und sodann ggf. zu beantragen, den Sachverständigen zu einer mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden.