Dr. Michael Nugel, Dipl.-Ing. André Schrickel
Rz. 44
Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass der Sachverständige bei seinen Ermittlungen sehr schnell Umstände aufdecken kann, welche als Betriebsgeheimnis des Herstellers einzustufen sein können bzw. gar – rein objektiv betrachtet – eine taugliche Hilfestellung und Anleitung für das Überwinden von Sicherungsmaßnahmen des Herstellers darstellen. Werden durch ein Gutachten im Auftrag des Gerichts Manipulationsmöglichkeiten bzgl. elektronischer Fahrzeugkomponenten und Schutzsysteme aufgezeigt, kann dies mit einem Eingriff in Betriebsgeheimnisse des Herstellers verbunden sein. Das dabei auftretende Spannungsfeld zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Eingriff in grundrechtlich nach Art. 12 GG geschützte Betriebsgeheimnisse erfordert eine Güterabwägung zwischen den betroffenen Rechten unter Beachtung der Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.
Für die durch gebotene sorgfältige und kritische Nachprüfung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens durch das Gericht und zur Wahrung des Anspruchs der Parteien auf ein rechtsstaatliches Verfahren und effektiven Rechtsschutz kann es geboten sein, dass der Sachverständige tatsächliche Umstände, die er mangels Erfahrungswissens selbst erhoben und seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, offen legt und dafür auch an sich schützenswerte Informationen preisgibt. Auf der anderen Seite kann der Schutz von Betriebsgeheimnissen im Ausnahmefall sogar so weit gehen, dass Teile eines Sachverständigengutachtens nicht erörtert werden, wenn ein besonders schützenswerter Urheberrechtsschutz besteht.
Im Regelfall wird dies aber nicht erforderlich sein: Einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse kann im Einzelfall durch Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Nr. 2 GVG und die Verpflichtung zur Verschwiegenheit nach § 174 Abs. 3 GVG Rechnung getragen werden. Gerade eine (strafbewehrte) Geheimhaltungsanordnung nach § 174 Abs. 3 GVG ermöglicht die Prüfung entscheidungsrelevanter Tatsachen, die ansonsten einem Geschäfts- oder gar Berufsgeheimnis unterliegen.
In der Praxis wird es daher erst einmal genügen, wenn der Sachverständige die von ihm aufgedeckte Manipulationsmöglichkeit mit einem konkreten Erfolg aufzeigt, ohne die dabei von ihm umgesetzten einzelnen Schritte im Detail offenzulegen. Besteht eine Partei zur Überprüfung des Gutachtens auf einer solchen detaillierten Offenlegung, bieten sich diese Anordnungen des Gerichts zur Verschwiegenheit und dem Ausschluss der Öffentlichkeit ebenso wie eine Demonstration des Eingriffs in einem Ortstermin an.