Entscheidungsstichwort (Thema)
Geheimhaltungsanordnung, Prozeßbevollmächtigter, Interesse des Versicherungsnehmers, Berechnungsgrundlage, Sofortige Beschwerde, Versicherer, Geheimhaltungsbedürftigkeit, Verschwiegenheitsverpflichtung, Beschlüsse, Prämienanpassung, Akteneinsichtsrecht, Verschwiegenheitspflicht, Geheimhaltungsverpflichtung, OLG München, Beschwerdewert, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, Schutzwürdiges Interesse, Berufsausübungsgesellschaft, Faires Verfahren, Geschäftsgeheimnis
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Beschluss vom 15.11.2023; Aktenzeichen 23 O 2577/23) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 15.11.2023, Az. 23 O 2577/23, mit dem eine Geheimhaltungsanordnung erlassen worden ist, wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung. Der beklagte Versicherer hat mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2023 (Bl. 138/142 d. A. LG) die technischen Berechnungsgrundlagen der streitgegenständlichen Prämienanpassungen als Anlagenkonvolut B 11 (auf CD) vorgelegt, diese unter Bezugnahme auf eine als Anlage B 12 vorgelegte Übersicht als zum (Groß-)Teil geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnet und die Anordnung der Verschwiegenheitspflicht hierfür beantragt.
An der Sitzung des Landgerichts vom 15. November 2023 (Protokoll Bl. 148/151 d. A. LG) hat die Klägerin persönlich nicht teilgenommen; für ihre Prozessbevollmächtigte ist der bei dieser angestellte Rechtsanwalt K. erschienen. Die Einzelrichterin des Landgerichts hat während der Verhandlung über den Inhalt des Anlagenkonvoluts B 11 die Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG ausgeschlossen (Protokoll, S. 2 unten). Durch weiteren Beschluss in der Sitzung hat das Landgericht den "Verhandlungsteilnehmern, Rechtsanwalt K. und Rechtsanwalt B." nach § 174 Abs. 3 GVG die Geheimhaltung von Daten und anderen Tatsachen zur Pflicht gemacht, "die durch die Verhandlung oder ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück in Bezug auf die Anlage B 11 zu ihrer Kenntnis gelangen", wobei die Geheimhaltungsverpflichtung "nach Maßgabe der in der Datei B 12 enthaltenen Dateiübersicht" gelte (Protokoll, S. 3 oben).
Gegen diesen Beschluss ist mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29. November 2023 (Bl. 152/163 d. A. LG) sofortige Beschwerde eingelegt worden. Durch den Geheimhaltungsbeschluss seien die Klagepartei und die Prozessbevollmächtigte beschwert. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30. November 2023 (Bl. 164/165 d. A. LG) nicht abgeholfen.
II. Die gemäß § 174 Abs. 3 Satz 3 GVG, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - IV ZB 8/20, VersR 2020, 1609 Rn. 10) und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten hat keinen Erfolg. Die Geheimhaltungsanordnung des Landgerichts ist rechtmäßig.
1. Für eine solche Anordnung besteht mit § 174 Abs. 3 GVG eine wirksame Rechtsgrundlage. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß.
Die Vorschriften der §§ 169 bis 174 GVG berücksichtigen in verfassungsrechtlich bedenkenfreier Weise den Umstand, dass einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen vor einem erkennenden Gericht gewichtige Interessen entgegen stehen können und solche gegenläufigen Belange allgemein oder im Einzelfall eröffnete Ausnahmen von dem Grundsatz der Öffentlichkeit erfordern (BVerfG, NJW 2007, 672, 673). Dies gilt auch für § 174 Abs. 3 GVG als gesetzliche Grundlage einer Geheimhaltungsanordnung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 2023 - 1 BvR 2036/23, juris Rn. 19 f, 22 f, 25).
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, wie die Beschwerde sie fordert, ist weder geboten noch wäre sie zulässig. Das Beschwerdegericht hält § 174 Abs. 3 GVG aus den dargestellten Gründen, die der (zitierten) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, nicht für verfassungswidrig.
2. Die förmlichen Anforderungen an die Geheimhaltungsanordnung sind gewahrt. Insbesondere hat das Landgericht in der Sitzung durch Beschluss entschieden und diesen in das Protokoll aufgenommen (vgl. § 174 Abs. 3 Satz 2 GVG).
3. Voraussetzung einer Geheimhaltungsanordnung ist nach § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG, dass die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit oder aus den in §§ 171b, 172 Nr. 2 und 3 GVG bezeichneten Gründen ausgeschlossen ist. Dies ist hier der Fall. Die Öffentlichkeit war durch Beschluss des Landgerichts gemäß § 174 Abs. 1 GVG aus den Gründen des § 172 Nr. 2 GVG ausgeschlossen. Es ist ein wichtiges Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis zur Sprache gekommen, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden. Die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten technischen Berechnungsgrundlagen des beklagten Versicherers stellen ein solches Geheimnis dar.
a) Als Betriebs- un...