Rz. 16
Die Entziehung des Pflichtteils ist auch dann möglich, wenn sich der Abkömmling eines Verbrechens im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens im Sinne des § 12 Abs. 2 StGB gegen den Erblasser oder einen nahen Angehörigen schuldig gemacht macht hat, wobei eine strafgerichtliche Verurteilung nicht erforderlich ist. Ob ein schweres Vergehen vorliegt, beurteilt sich im Einzelfall nach dem Grad des sittlichen Verschuldens. Regelmäßig muss ein Vergehen vorliegen, das einen erheblichen Unwertgehalt aufweist. Nach einem aktuellen Urteil des OLG Stuttgart kann auch ein Diebstahl von Bargeld in Höhe von 6.100 DM zum Nachteil des Erblassers geeignet sein, die Pflichtteilsentziehung wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu rechtfertigen. Auch Beleidigungsdelikte können den Tatbestand des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfüllen, und zwar insbesondere dann, wenn sie eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses darstellen. Gleiches gilt für psychische Misshandlungen, wenn sie Straftatbestände wie § 240 StGB erfüllen. Voraussetzung ist des Weiteren, dass das Verbrechen oder Vergehen schuldhaft begangen wurde. Bei Vorliegen einer Notwehrhandlung oder bei einer unverschuldeten Notwehrüberschreitung ist ein Pflichtteilsentziehungsgrund nicht gegeben.
Rz. 17
Die Neufassung des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB beinhaltet auch die Entziehung des Pflichtteils bei einer vorsätzlichen körperlichen Misshandlung (Nr. 2 a.F.). Umstritten ist, ob nach der Neuregelung weiterhin das Vorliegen einer "schweren Pietätsverletzung" erforderlich ist. Grundsätzlich wollte der Gesetzgeber mit der Neuregelung insoweit keine inhaltliche Veränderung erreichen und die bisherige Judikatur beibehalten. Dies spricht dafür, dass auch weiterhin das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der "schweren Pietätsverletzung" verwirklicht sein muss, um eine Pflichtteilsentziehung zu begründen. Dagegen spricht, dass jetzt im Rahmen des § 2333 Nr. 2 BGB für die Pflichtteilsentziehung auf die Schwere des Vergehens abzustellen ist. Dies macht das Vorliegen eines weiteren, ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals entbehrlich.
Rz. 18
Liegt ein Fall des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BGB vor, kann der Pflichtteil nicht nur entzogen werden, wenn sich die Tat gegen den Erblasser, dessen Ehegatten, einen Abkömmling richtet, sondern auch dann, wenn eine dem Erblasser ähnlich nahe stehende Person betroffen ist. Im Gesetz ist nicht ausdrücklich geregelt, wer zum Personenkreis der "ähnlich nahestehenden Personen" gehört. Hierunter versteht man Personen, deren Verletzung den Erblasser in gleicher Weise wie ein Angriff gegen die bereits früher einbezogenen Ehegatten, eingetragenen Lebenspartner oder Abkömmlinge trifft. Zwischen den "nahestehenden Personen" und dem Erblasser muss im konkreten Einzelfall ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Ehegatten oder Eltern und ihren Abkömmlingen bestehen, sprich eine der Partnerschaft oder der Nachkommenschaft vergleichbare Verbindung. Das sind Personen, die mit dem Erblasser in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft zusammenleben oder auf andere Weise mit ihm eng verbunden sind.
Rz. 19
Muster 13.2: Pflichtteilsentziehung gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB
Muster 13.2: Pflichtteilsentziehung gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB
Ich, _________________________, entziehe hiermit meinem Sohn _________________________, geb. am _________________________ in _________________________, den Pflichtteil aus folgendem Grund:
Anlässlich der Feier meines 60. Geburtstages spuckte er mich vor versammelter Gesellschaft an und schlug mich dann zu Boden. Als ich ohnmächtig am Boden lag, hat er weiter mit den Füßen auf mich eingetreten. Hierbei erlitt ich mehrere Hämatome und einen Unterkieferbruch. Zum Beweis: Zeugnis des mich behandelnden Arztes, Dr. _________________________ in _________________________, den bzw. dessen Nachfolger ich hiermit von der Schweigepflicht entbinde. Anwesend bei der Tat waren im Übrigen folgende Zeugen: _________________________.