I. Die Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts
Rz. 11
Das Erbrecht unterliegt als Individualgrundrecht und als Rechtsinstitut selbst dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 GG. Dass auch das Pflichtteilsrecht diesen Schutz genießt, wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Beschl. v. 19.4.2005 ausdrücklich klargestellt. In diesem Beschluss führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass zu den von der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten traditionellen Kernelementen des deutschen Erbrechts auch das Recht der Kinder eines Erblassers auf eine grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige Teilhabe am Nachlass gehört. Allerdings hat das BVerfG eine Pflichtteilsentziehung als wirksam betrachtet und damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschriften des BGB über die Pflichtteilsentziehung mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Es gibt allerdings Fälle, in denen das Prinzip der Testierfreiheit mit dem Grundsatz der unentziehbaren Nachlassteilhabe eines Pflichtteilsberechtigten nicht in Einklang zu bringen ist. Das beanstandete Fehlverhalten muss dann aber über das für eine Enterbung kennzeichnende Maß der familiären Konfliktsituation hinausgehen, damit eine Entziehung des Pflichtteils gerechtfertigt ist.
II. Die Pflichtteilsentziehungsgründe
1. Allgemeines
Rz. 12
Im Zuge der Reform des Erb- und Verjährungsrechtes wurden im Bereich der Pflichtteilsentziehung vor dem Hintergrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erhebliche Veränderungen vorgenommen: die Pflichtteilsentziehungsgründe für Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten wurden vereinheitlicht; die frühere Unterscheidung in den §§ 2333–2335 BGB ist hierdurch weggefallen. Der Kreis der vom Fehlverhalten eines Pflichtteilsberechtigten Betroffenen wurde erweitert und so die Pflichtteilsentziehungsgründe an die gewandelten familiären Strukturen angepasst. Im Rahmen der Reform wurde auch der Katalog der Pflichtteilsentziehungsgründe stark überarbeitet.
Rz. 13
Der Erblasser kann die Entziehung des Pflichtteils nur bei Vorliegen eines der in § 2333 Abs. 1 BGB abschließend geregelten Entziehungsgründe wirksam vornehmen. Gemäß § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG ist die Vorschrift des § 2333 BGB für die Entziehung des Pflichtteils eines eingetragenen Lebenspartners entsprechend anwendbar.
2. § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB – "Nach dem Leben trachten"
Rz. 14
Der Erblasser kann einem Abkömmling, seinem Ehegatten/eingetragenen Lebenspartner oder einem Elternteil den Pflichtteil entziehen, wenn ein Abkömmling dem Erblasser, dessen Ehegatten, dessen eingetragenen Lebenspartner, einem anderen Abkömmling des Erblassers oder einer Person, die dem Erblasser ähnlich nahe steht, nach dem Leben trachtet. Dies ist dann der Fall, wenn der ernsthafte Wille betätigt wird, den Tod des anderen herbeizuführen, wobei ein einmaliger Versuch genügt. Beharrlichkeit ist nicht erforderlich. Hierbei genügt auch Mittäterschaft, Beihilfe oder Anstiftung. Mündliche Äußerungen oder Androhungen genügen hingegen nicht. Tritt der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 24 StGB strafbefreiend vom Versuch der Tat zurück, führt dies nicht zu einem Wegfall eines bereits entstandenen Pflichtteilsentziehungsgrundes.
Rz. 15
Die Tathandlung setzt schuldhaftes Verhalten voraus. Die Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Nr. 1 BGB liegen auch dann vor, wenn festgestellt werden kann, dass der Pflichtteilsberechtigte auf Grundlage der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwar schuldunfähig ist, aber in einem natürlichen Sinne vorsätzlich gehandelt hat. Ein Verschulden im strafrechtlichen Sinn ist nicht erforderlich.
3. § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB – Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen
Rz. 16
Die Entziehung des Pflichtteils ist auch dann möglich, wenn sich der Abkömmling eines Verbrechens im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens im Sinne des § 12 Abs. 2 StGB gegen den Erblasser oder einen nahen Angehörigen schuldig gemacht macht hat, wobei eine strafgerichtliche Verurteilung nicht erforderlich ist. Ob ein schweres Vergehen vorliegt, beurteilt sich im Einzelfall nach dem Grad des sittlichen Verschuldens. Regelmäßig muss ein Vergehen vorliegen, das einen erheblichen Unwertgehalt aufweist. Nach einem aktuellen Urteil des OLG Stuttgart kann auch ein Diebstahl von Bargeld in Höhe von 6.100 DM zum Nachteil des Erblassers geeignet sein, die Pflichtteilsentziehung wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu rechtfertigen. Auch Beleidigungsdelikte können den Tatbestand des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfüllen, und zwar insbesondere dann, wenn sie eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses darstellen. Gleiches gilt für psychische Misshandlungen, wenn sie Straftatbestände wie § 240 ...