Rz. 227

Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Anforderungen an ein Wertermittlungsgutachten gestellt werden müssen. Reicht es aus, wenn der Erbe eine grobe Wertschätzung durch einen Grundstücksmakler oder den Mitarbeiter einer Immobilienabteilung seiner Hausbank vorlegt? Hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch darauf, einen Sachverständigen zu bestimmen?

a) Wer bestimmt den Sachverständigen?

 

Rz. 228

Der Pflichtteilsberechtigte muss dem Gang des Wertermittlungsverfahrens zunächst relativ wehrlos zuschauen. Er hat zweifellos keinen Anspruch darauf, dass ein von ihm benannter oder vorgeschlagener Sachverständiger mit der Begutachtung beauftragt wird. Er müsste sich in diesen Fällen vielmehr zunächst mit dem vorgelegten Gutachten auseinandersetzen und notfalls den Wert des Nachlassgegenstands im Rahmen des Zahlungsantrags anders darstellen.

Ein Pflichtteilsberechtigter hat im Ergebnis nur Anspruch darauf, dass der Sachverständige bei seiner Gutachtenerstattung die Regeln der Kunst erfüllt, indem er den Anforderungen gerecht wird, die an ein Wertermittlungsgutachten gestellt werden, so dass ihn das eingeholte Gutachten anschließend in die Lage versetzt, eigene Wertermittlungen vorzunehmen.

b) Wer kommt als Sachverständiger in Betracht?

 

Rz. 229

Bei der Frage, wer als Sachverständiger in Betracht kommt, gibt es große Unsicherheiten. Der BGH hat entschieden, dass ein Pflichtteilsberechtigter berechtigt ist, vom Erben die Vornahme der Wertermittlung durch einen unparteiischen Sachverständigen zu verlangen.[142] Steht damit fest, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf das Gutachten eines öffentlich bestellten Sachverständigen hat?

Die Bezeichnung "Sachverständiger" ist gesetzlich nicht geschützt. Wäre es also denkbar, dass ein Pflichtteilsberechtigter mit dem Gutachten eines Architekten zur Frage der Wertermittlung zufrieden sein muss? Reicht es hier aus, wenn derartige "Sachverständige" lediglich an ihrem Rechner einschlägige Berechnungsprogramme durchlaufen lassen?

 

Rz. 230

Man dürfte hier der Auffassung von Rißmann[143] folgen können, wonach ein Gutachten nur dann sachverständig genug ist, wenn es den Empfänger des Gutachtens in die Lage versetzt, seine eigenen Prozessrisiken zutreffend abschätzen zu können, und wenn es von jemandem stammt, der zumindest ausreichende Sachkunde im Bereich der Bewertung von Immobilien aufzuweisen hat. Das wird man nicht von jedem Architekten annehmen können.

Der Sachverständige muss sich in seinem Gutachten mit den in Betracht kommenden unterschiedlichen Bewertungsmethoden auseinandersetzen, die jeweils unterschiedlichen Konsequenzen aufzeigen und unter Anwendung der nach seiner Meinung zutreffenden Methode einen bestimmten Verkehrswert ermitteln. Derart abgewogene Stellungnahmen sind von Maklern und Bankmitarbeitern in der Regel jedenfalls nicht zu erwarten.

[142] BGH v. 30.10.1974 – IV ZR 41/73, NJW 1975, 258.
[143] Rißmann, Der Wertermittlungsanspruch in § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB, in: FS Damrau, 2007, S. 235 ff., 243.

c) Nachvollziehbarkeit von Gutachten

 

Rz. 231

Das Gutachten muss in sich schlüssig und nachvollziehbar sein. Es muss insbesondere rechnerisch nachvollziehbar sein. Der Sachverständige muss die Grundlagen der Wertermittlung angeben, damit der Empfänger des Gutachtens ggf. eigene, abweichende Schlüsse ziehen kann.

Enthält ein derartiges Gutachten keinerlei Angaben dazu, welche Bewertungsmethode angewandt worden ist, ist es unbrauchbar, so dass mit Vorlage eines solchen Gutachtens der Wertermittlungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten nicht erfüllt wird. Die verschiedenen Bewertungsmethoden, die für das Objekt der Bewertung in Betracht kommen, sind anzuwenden und zu einem Ergebnis zu führen. Anders wäre es einem Pflichtteilsberechtigten nicht möglich, etwaige Wertungsfehler zu erkennen.[144]

 

Rz. 232

Über die formalen Anforderungen gibt es in der Praxis keine einheitliche Handhabung. Häufig behält der Erbe das Original des Gutachtens bei sich und schickt an den Pflichtteilsberechtigten und dessen Anwalt nur teilweise schlecht lesbare Schwarz-Weiß-Kopien. Damit ist der Wertermittlungsanspruch jedoch nicht erfüllt, denn nur mit Farbfotos versehene Ausfertigungen des Sachverständigengutachtens sind verwertbar.[145]

 

Rz. 233

Jedes vorgelegte Gutachten ist auf Plausibilität zu überprüfen, so dass der Prozessanwalt selbst in die Überprüfung einzutreten hat, ob das Gutachten nachvollziehbar und das Ergebnis des Sachverständigen in sich schlüssig ist. Notfalls muss ein Dritter mit hinreichender Sachkunde hinzugezogen werden, denn Sinn eines in einem Pflichtteilsverfahren vorgelegten Gutachtens ist es immer, dem Pflichtteilsberechtigten eine eigene Bewertung zu ermöglichen.

[144] Brandenburgisches OLG v. 7.1.2004 – 13 U 25/03, ZErb 2004,132.
[145] Vertiefend dazu: Rißmann in: FS Damrau, 2007, S. 235 ff.

d) Bindet ein eingeholtes Gutachten?

 

Rz. 234

Wie bereits oben ausgeführt, soll das eingeholte Sachverständigengutachten den Pflichtteilsberechtigten in die Lage versetzen, eigene Ermittlungen hinsichtlich des Werts des Nachlasses vornehmen zu können. In der Regel erfolgt eine Zugrundelegung des Gutachtens im Rahmen des nachfolgen...

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