Rz. 279
Hier ist insbesondere auf ein Urteil des OLG Hamm hinzuweisen: Wendet der vom Erblasser Beschenkte den Schenkungsgegenstand unentgeltlich einem Dritten zu, greift zugunsten des Pflichtteilsberechtigten, der einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2329 BGB geltend macht, über die in dieser Vorschrift enthaltene Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht auch § 822 BGB ein. Der Dritte ist zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn er die Zuwendung von dem Gläubiger ohne rechtlichen Grund erhalten hätte, soweit infolge der Zuwendung an den Dritten die Verpflichtung des vom Erblasser Beschenkten zur Herausgabe ausgeschlossen ist.
Rz. 280
Die Rechtsprechung hatte sich bis dahin noch nicht intensiv mit der Frage beschäftigt, ob § 822 BGB über die in § 2329 Abs. 1 BGB enthaltene Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht anwendbar ist, wenn der vom späteren Erblasser Beschenkte seinerseits den Schenkungsgegenstand unentgeltlich an einen Dritten weitergibt. Mit der Bejahung dieser Frage folgt das OLG Hamm der herrschenden Auffassung in der Literatur. Gegenteilige Ansichten werden, soweit ersichtlich, nicht vertreten.
Birkenheier weist zutreffend darauf hin, dass dieser Entscheidung des OLG Hamm erhebliche Bedeutung zukommt, weil in der Praxis die unentgeltliche Weitergabe vom Erblasser lebzeitig verschenkter Vermögenswerte, insbesondere von Grundstücken, häufiger vorkommt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Vorschrift des § 822 BGB unabhängig davon anwendbar ist, ob die unentgeltliche Weitergabe an den Dritten vor oder nach dem Erbfall erfolgt, und dass sie auch dann noch anwendbar ist, wenn der Dritte unentgeltlich an einen Vierten weitergibt, so dass auch dieser herausgabepflichtig ist.
Rz. 281
Allerdings ergeben sich bei der Weitergabe an einen Dritten nach dem Erbfall wahrscheinlich Verjährungsprobleme, die aber ebenfalls noch nicht abschließend geklärt sind. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Anspruch nach § 2329 BGB beginnt mit dem Erbfall. Wenn es sich bei der Verweisung auf § 822 BGB um einen eigenständigen Bereicherungsanspruch handelt, würde die Verjährung des Anspruchs gegen den Dritten erst mit der Zuwendung an ihn beginnen, während nach der Gegenansicht der Zeitpunkt der Zuwendung an den Erstempfänger entscheidend ist.
Rz. 282
Erfolgt somit die unentgeltliche Weitergabe an den Dritten später als drei Jahre nach dem Erbfall, ohne dass eine Hemmung der Verjährungsfrist stattgefunden hat, ist der Anspruch aus § 2329 BGB bei Erhebung der Einrede der Verjährung nicht mehr durchsetzbar, da die Verjährung bereits in der Zeit der Eigentümerstellung des Erstbeschenkten eingetreten ist. Erfolgt jedoch der Vollzug der unentgeltlichen Weitergabe der Schenkung an den Dritten innerhalb des Zeitraums von drei Jahren nach dem Erbfall, droht die "Verjährungsfalle". Wenn nämlich der Pflichtteilsberechtigte den Erstbeschenkten verklagt, dieser jedoch den Schenkungsgegenstand bereits weiterverschenkt hat, ist er nach § 818 Abs. 3 BGB wegen eingetretener Entreicherung nicht mehr der richtige Schuldner, so dass die Klage gegen ihn abzuweisen ist. Währenddessen läuft die dreijährige Verjährungsfrist gem. § 2332 Abs. 1 BGB im Verhältnis zum Dritten weiter und kann bereits abgelaufen sein, bevor der Pflichtteilsberechtigte von der Veräußerung überhaupt erfährt. Weil das unbillig sein kann, wird die Ansicht vertreten, dass der Dritte in umgekehrter Anwendung des § 407 Abs. 1 Alt. 2 BGB die durch Klageerhebung des Gläubigers gegen den Erstempfänger eingetretene Hemmung der Verjährung gegen sich gelten lassen müsse, es sei denn, dass der Gläubiger im Zeitpunkt der Klageerhebung die Zuwendung an den Dritten kennt. Gerichtsentscheidungen dazu liegen noch nicht vor.
Rz. 283
Das Urteil des OLG Hamm ist auch deswegen von erheblichem Interesse, weil sich daraus der Hinweis ergibt, dass auch eine erfolgte Ausschlagung den Pflichtteilsanspruch unberührt lässt. Die Ausschlagung der Erbschaft ist nämlich grundsätzlich unschädlich für den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Die Ausschlagung führt zwar dazu, dass der Kläger auch keinen Pflichtteilsanspruch mehr hat. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bleibt ihm aber trotzdem.
Hier könnte sich in der anwaltlichen Verfolgung von Ansprüchen ein Regress auftun, wenn man wegen erfolgter Ausschlagung den an sich gegebenen Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht weiterverfolgt in der irrigen Auffassung, dass auch dieser durch die Ausschlagung beseitigt worden ist.