Rz. 5
Der Erwerbsschaden eines Verletzten umfasst alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann. Der Schaden liegt nicht bereits im Wegfall oder der Minderung der Arbeitskraft als solcher. Deshalb entsteht demjenigen, der nur von seinem Vermögen oder seiner Rente lebt oder arbeitsunwillig oder arbeitslos ist, ohne Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beanspruchen zu können, allein durch den Verlust seiner Arbeitsfähigkeit noch kein ersatzpflichtiger Schaden. Eine Ersatzpflicht besteht dann, wenn durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft des Verletzten in dessen Vermögen ein konkreter Schaden entstanden ist. Dabei ist nicht nur der Verlust von Arbeitseinkommen von Bedeutung; der Erwerbsschaden umfasst vielmehr alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann, die also der Mangel der vollen Einsatzfähigkeit seiner Person mit sich bringt. Der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitskraft muss sich also im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt haben. Ein Erwerbsschaden kann evtl. aufgrund einer "normativen" Betrachtung anzunehmen sein, etwa wenn ein Arbeitslosengeldempfänger infolge einer Körperverletzung dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht und statt des Arbeitslosengeldes die Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit oder ALG II bezieht.
Rz. 6
Ob der Verletzte, wäre es nicht zum Schadenseintritt gekommen, durch Verwertung seiner Arbeitskraft Einkünfte erzielt hätte, kann stets nur in einer Prognose im Sinne des § 252 S. 2 BGB ermittelt werden, bei der ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den gewöhnlichen Lauf der Dinge erforderlich ist; eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens ist nicht zulässig. Es genügt eine tatsächliche Erwerbsaussicht; der Geschädigte muss nicht bereits im Schadenszeitpunkt einen Rechtsanspruch auf das Einkommen gehabt haben.
Rz. 7
Aus einer Körper- oder Gesundheitsverletzung ergibt sich nicht ohne Weiteres eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Diese ist gesondert festzustellen. Dazu bedarf es, wenn Streit besteht, in der Regel sachverständiger Feststellungen. Eine vom behandelnden Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat in erster Linie Bedeutung für das Verhältnis Arbeitnehmer – Arbeitgeber, beweist im Haftpflichtprozess indes nicht, dass der Betroffene tatsächlich unfallbedingt arbeitsunfähig war, insbesondere wenn die Bescheinigung nicht auf aussagekräftigen Befunden, sondern allein auf den Angaben des Betroffenen beruht. Eine abstrakte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hat in erster Linie Bedeutung für sozialversicherungsrechtliche Ansprüche. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit besagt nicht zwingend etwas über einen nach zivilrechtlichen Maßstäben zu prüfenden Erwerbsschaden. In beiden Systemen gelten völlig unterschiedliche Maßstäbe. Die in § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII geregelte Minderung der Erwerbsfähigkeit stellt auf den Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens ab. Für den nach zivilrechtlichen Maßstäben zu prüfenden Erwerbsschaden ist indes auf die tatsächlichen Auswirkungen der Verletzungsfolgen auf die Vermögensbilanz des Geschädigten abzustellen. Gleichwohl kann die Minderung der Erwerbsfähigkeit dem Tatrichter Anhaltspunkte für die Schadensschätzung geben, etwa wenn sich die Frage stellt, ob der Geschädigte wieder eine Anstellung in dem von ihm angestrebten Berufen finden konnte, was bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % eher zu bejahen ist als bei einer solchen von mehr als 20 %.