Birgit Eulberg, Michael Ott-Eulberg
Rz. 114
Der Anwendungsbereich des § 130 InsO regelt die Anfechtbarkeit einer dem Gläubiger gebührenden (kongruenten) Sicherung oder Befriedigung (Deckung), welche diesem in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährt wurde.
Rz. 115
Beispiel: kongruente Deckung – Ausgangsfall
Der Erblasser nahm einen Kredit bei der B Bank auf. Als Darlehenssumme waren 50.000 EUR vereinbart worden. Am 15.7.2022 wurde das Darlehen wegen Vermögensverfalls und Zahlungsverzug gekündigt und mit Fristsetzung auf den 15.8.2022 fällig gestellt. Am 1.8.2022 verstarb der Erblasser. Die Erben haben die Erbschaft angenommen. Die Erbengemeinschaft bezahlt die am 15.8.2022 fällig gewordene Darlehenssumme des Erblassers i.H.v. 50.000 EUR aus Verkäufen von Nachlassgegenständen. Das Nachlassinsolvenzverfahren wird von den sonstigen Gläubigern am 15.9.2022 beantragt. Am 15.10.2022 wird das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet.
Die Zahlung der Erbengemeinschaft ist anfechtbar, da nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. InsO
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die Rechtshandlung in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzeröffnungsantrag vorgenommen wurde, |
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der Schuldner zur Zeit der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und |
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der Anfechtungsgegner (Bank) zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte bzw. kennen musste. |
Rz. 116
Es muss erstens eine Rechtshandlung vorliegen, die dem Gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährte. Sie muss jedoch nicht vom Schuldner vorgenommen worden und nicht einmal von ihm gebilligt sein. § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO setzt zweitens voraus, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung zahlungsunfähig war, und drittens, dass der Gläubiger dies oder den Eröffnungsantrag kannte. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Erblasser als Schuldner wegen mangelnder Liquidität außerstande ist, seine fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten zu erfüllen und wenn dies nach außen hin erkennbar geworden ist. Es muss eine Abgrenzung zur Zahlungsstockung vorgenommen werden (vorübergehende augenblicklichen Geldknappheit), die vorliegt, wenn erwartet werden kann, dass der Schuldner in einer angemessenen Frist die erforderlichen Mittel zur Schuldenregulierung erhält. Zahlungsunfähigkeit ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Die Zahlungsunfähigkeit ist definiert in § 17 Abs. 2 InsO. Mit einer Grundsatzentscheidung vom 24.5.2005 hat der IX. Senat des BGH eine Klärung herbeigeführt. Diese Entscheidung wurde durch das Urteil des BGH vom 12.10.2006 konkretisiert. Wenn ein Zeitraum von drei Wochen vorliegt, in welchem mehr als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten nicht bezahlt werden können, liegt Zahlungsunfähigkeit vor. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung und/oder dem Insolvenzeröffnungsantrag setzt positives Wissen voraus. Ein Kennenmüssen, d.h. fahrlässige Unkenntnis, ist nicht ausreichend. Das Gesetz lässt es aber nach § 130 Abs. 2 InsO ausreichen, wenn der Gläubiger als Anfechtungsgegner Kenntnis von Umständen hatte, aus denen zwingend auf diese Tatsache zu schließen ist. Weiterhin wird gem. § 130 Abs. 3 InsO bei den sog. nahestehenden Personen vermutet, dass sie die Zahlungsunfähigkeit kannten.
Rz. 117
Die gleichen Tatbestandsvoraussetzungen gelten bei einer Anfechtung nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO. Danach sind die nach dem Insolvenzeröffnungsantrag vorgenommenen Rechtshandlungen anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger Sicherheit oder Befriedigung gewähren, falls dem Gläubiger bei Vornahme der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder der Insolvenzeröffnungsantrag bekannt war. Bei Kreditinstituten kann eine Anfechtbarkeit nicht allein damit begründet werden, dass entgegen § 18 KWG keine Prüfung der Kreditwürdigkeit bei Vergabe umfangreicher Kredite vorgenommen wurde.
Rz. 118
Beispiel: Variante
Der Erblasser hatte sich verpflichtet, für die Ausreichung des Kredits eine Sicherheit in Form einer Grundschuld an einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück zu stellen. Die Grundschuld wurde eingetragen. Eine entsprechende Zweckbestimmungserklärung wurde vereinbart. Im Gegensatz zum Ausgangsfall befand sich im Nachlass kein sonstiges Vermögen, welches hätte verkauft werden können. Die Erbengemeinschaft konnte daher die am 15.8.2022 fällig gewordene Darlehenssumme nicht begleichen. Die Erben stellten wegen Zahlungsunfähigkeit gemeinschaftlich einen Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens. Das Nachlassinsolvenzverfahren wurde eröffnet. Der Nachlassinsolvenzverwalter hat nunmehr zu prüfen, ob die Bestellung der Grundschuld durch den Erblasser ggf. anfechtbar ist.
Lösung: Da die Bank die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte, ist die Eintragung der Grundschuld nicht anfechtbar.
Rz. 119
Sicherheitenbestellung aufgrund konkreter Verpflichtung: Bei der Frage, ob eine kongruente Deckung vorliegt, kommt es darauf an, welcher Art der Anspruch ist, aus dem der Gläubiger seine Forderung nach ...