Birgit Eulberg, Michael Ott-Eulberg
a) Allgemeines
Rz. 142
Während es für die Anfechtungstatbestände nach den §§ 130, 132 InsO auf die Dreimonatsfrist vor dem Eröffnungsantrag ankommt, können vorsätzliche Benachteiligungen nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden, die in den letzten zehn Jahren vor Antragstellung vorgenommen wurden.
Rz. 143
Beispiel: Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung
Der überschuldete und meistens zahlungsunfähige Erblasser, verstorben in 2022, hatte am 6.6.2020 eine Abschlagszahlung von 20.000 EUR auf Darlehensverbindlichkeiten geleistet, nachdem ihm die Bank in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit Vollstreckung aus einem notariellen, für vollstreckbar erklärten Anerkenntnis angedroht hatte. Frage: Kann der Nachlassinsolvenzverwalter im Nachlassinsolvenzverfahren die Zahlung anfechten?
Lösung: Die Zahlung ist nicht anfechtbar, da die Zahlung nicht freiwillig erfolgte, sondern nur unter dem Druck der Zwangsvollstreckung. Es müssen die folgenden drei Tatbestandsvoraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung gegeben sein.
b) Tatbestandsvoraussetzungen
aa) Rechtshandlung des Schuldners
Rz. 144
Die Rechtshandlung des Schuldners muss frei bestimmt sein. Der Schuldner muss nach freiem Willen entscheiden können, ob er z.B. eine Zahlung erbringt. Mit Urteil vom 10.2.2005 hatte der BGH entschieden, dass ein Schuldner unter dem Druck angedrohter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht mehr frei bestimmt handelt und deswegen keine Rechtshandlung i.S.d. § 133 Abs. 1 InsO vornimmt. Damit wurde die frühere Rechtsprechung aufgegeben. Aus den vorgenannten Gründen fehlt es daher im Beispielsfall an der Tatbestandsvoraussetzung "frei bestimmte Rechtshandlung".
bb) Benachteiligungsvorsatz des Schuldners
Rz. 145
Die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Benachteiligungsvorsatzes ist grundsätzlich anzunehmen, wenn der Schuldner weiß, dass er durch seine Rechtshandlung (z.B. Zahlung) andere Gläubiger benachteiligt. Er muss also erkennen, dass er zahlungsunfähig ist und bleiben wird. Gewährt der Erblasser dem Gläubiger eine kongruente Deckung, also das, was der Gläubiger zu Recht fordern durfte, sind an den Nachweis des Benachteiligungsvorsatzes – gegenüber einer inkongruenten Deckung – höhere Anforderungen zu stellen. Bei einer kongruenten Deckung wird eine Benachteiligungsabsicht nur in den seltensten Fällen vorliegen und zudem nur schwer zu beweisen sein, da gerade der Verfügende (Erblasser) verstorben ist.
cc) Kenntnis des Anfechtungsgegners
Rz. 146
Die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners wird nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet, wenn der Gläubiger die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte und wusste, dass die Rechtshandlung andere Gläubiger benachteiligt. Von einem Gläubiger, der Umstände kennt, die zwingend auf eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, wird vermutet, dass er die drohende Zahlungsunfähigkeit selbst und den Benachteiligungsvorsatz kannte.
c) Beweislastregel
Rz. 147
Die Beweislast für die Tatsache der frei bestimmten Rechtshandlung durch den Erblasser und dessen Benachteiligungsvorsatz trägt der Insolvenzverwalter. Bestreitet der Gläubiger die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Gläubigerbenachteiligung, muss der Nachlassinsolvenzverwalter die Kenntnis des Gläubigers von der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Gläubigerbenachteiligung beweisen. Hatte der Gläubiger jedoch inkongruente Deckung erhalten, gilt dies als Beweisanzeichen für seine Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung.
Rz. 148
Bestellte der Erblasser der Bank für einen früher gewährten Kredit eine Sicherheit, so kann diese Sicherheit in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren angefochten werden, wenn der Erblasser bei der Besicherung den Vorsatz hatte, seine sonstigen Gläubiger zu benachteiligen und die Bank dies wusste. Diese Art der Anfechtung ist im Gegensatz zur besonderen Insolvenzanfechtung (§§ 130, 131 InsO) nicht auf Besicherungen beschränkt, die innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes vor dem Insolvenzantrag vollzogen werden. Theoretisch könnten also sämtliche Besicherungen der letzten zehn Jahre vor dem Insolvenzantrag von dieser Anfechtung erfasst werden. Aus praktischen Gründen ist der zeitliche Anwendungsbereich jedoch erheblich eingeschränkt.
d) Bargeschäfte i.S.v. § 142 InsO
Rz. 149
Die Vorschrift des § 142 InsO regelt, dass Rechtsgeschäfte dann nicht anfechtbar sind, durch welche lediglich ein Aktivtausch (Ware gegen Geld) erfolgt. Zweck der Regelung ist, dass auch einem Schuldner, der sich in einer Krise befindet, seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit nicht genommen werden darf. Die Möglichkeit zur Teilnahme am Rechtsverkehr, mit der das Ziel der Rettung des Unternehmens verfolgt werden soll, würde dem Schuldner genommen, wenn selbst die von ihm durchgeführten Bargeschäfte der Anfechtung unterliegen würden. Der Schuldner soll wirtschaftlich handlungsfähig bleiben. Wenn eine Bank mit dem Erblasser einen Kreditvertrag abgeschlossen und dabei die sofortige Besicherung vereinbart hat, gilt, dass die Bestellung dieser Sicherheit im Nachlassinsolvenzverfahren grundsätzlich nicht angefochten wer...