Rz. 148
Unter die verkehrsrechtlichen Straftaten i.S.d. § 2 i aa ARB fallen zunächst sämtliche Vorschriften, die der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs dienen, auch des Luft- und Schiffsverkehrs. In den meisten Fällen ergeben sich keine Bewertungsprobleme. Verkehrsrechtliche Straftaten in diesem Sinne sind z.B.
Rz. 149
Darüber hinaus kommt der privilegierte Rechtsschutz gem. § 2 i aa ARB auch bei nicht-verkehrsrechtlichen Delikten in Betracht. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein nicht-verkehrsrechtliches Delikt in Tateinheit mit einem verkehrsrechtlichen Delikt (auch Verkehrsordnungswidrigkeit) zusammentrifft, soweit ein "innerer Zusammenhang" zum Verkehrsdelikt besteht. Klassisches Beispiel ist die Nötigung gem. § 240 StGB durch den "Drängler" auf der Autobahn. Diese steht regelmäßig sowohl in Tateinheit als auch in einem inneren Zusammenhang entweder mit einer Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c StGB oder jedenfalls mit einem entsprechenden Verkehrsordnungswidrigkeitentatbestand (hilfsweise § 1 StVO).
Rz. 150
Der Versicherungsnehmer genießt bei den verkehrsrechtlichen Straftaten von Anfang an Versicherungsschutz (§ 2 i aa S. 1 ARB) auch für die Verteidigung gegen den Vorwurf eines nur vorsätzlich begehbaren Delikts (z.B. § 142 StGB). Dieser Rechtsschutz besteht, bis rechtskräftig festgestellt wird, dass der Versicherungsnehmer das Vergehen vorsätzlich begangen hat. In diesem Fall ist der Versicherungsnehmer zur Rückzahlung der Beträge verpflichtet, die der Rechtsschutzversicherer "für die Verteidigung wegen des Vorwurfs eines vorsätzlichen Vergehens getragen hat" (§ 2 i aa S. 2 ARB).
Rz. 151
Verkannt wird hierbei häufig, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut der vertraglichen Erstattungsregelung nicht stets sämtliche Kosten zurückzuerstatten sind. Denn wenn zunächst – z.B. im Ermittlungsverfahren – der Vorwurf der fahrlässigen Begehung erhoben wird und es erst später – z.B. aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nach rechtlichem Hinweis gem. § 265 StPO – zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Vorsatztat kommt, sind nur die nach Umstellung des Vorwurfes von Fahrlässigkeit auf Vorsatz entstandenen Kosten zu erstatten. Auch nach der abweichenden Formulierung in § 20 Abs. 4 ARB 75 (danach sind die Leistungen zu erstatten, "die der Versicherer für ihn erbracht hat, nachdem dem Versicherungsnehmer ein vorsätzliches Verhalten zur Last gelegt wurde") gilt im Ergebnis ebenso, dass der Rechtsschutz erst ex nunc ab Umstellung des Vorwurfes auf Vorsatz entfällt. Erstmals in Nr. 2.2.9 ARB 2012 ist demgegenüber geregelt, dass "die entstandenen Kosten" zu erstatten sind.
Rz. 152
Praxistipp
Insbesondere in Fällen, in denen dem Versicherungsnehmer vorgeworfen wird, ein Verkehrsdelikt vorsätzlich begangen zu haben, sollte der Rechtsanwalt vom Rechtsschutzversicherer rechtzeitig Vorschüsse anfordern (§ 9 RVG). Ist dies versäumt worden, weil es z.B. erst in der Hauptverhandlung überraschend zu einer Verurteilung wegen Vorsatzes gekommen ist, kann durch eine Rechtsmitteleinlegung zunächst die rechtskräftige Verurteilung verhindert und damit der (vorläufige) Rechtsschutzanspruch noch "gerettet" werden. Sodann können gegenüber dem Rechtsschutzversicherer die Kosten der ersten Instanz abgerechnet und ein Vorschuss für die zweite Instanz angefordert werden.
Rz. 153
Kommt es zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Versicherungsnehmers wegen einer Vorsatztat, ist der Versicherungsnehmer – nicht der Rechtsanwalt (vgl. im Einzelnen Rdn 73 ff.) – zur Rückzahlung desjenigen Teils der Kosten verpflichtet, der nach Umstellung des Vorwurfs auf eine vorsätzliche Begehung entstanden ist.
Rz. 154
Hinweis
Es liegt im wohlverstandenen Interesse des Versicherungsnehmers, dass er nicht wegen eines vorsätzlich begangenen Verkehrsdeliktes verurteilt wird. Das kann sich im Einzelfall im Strafmaß günstig auswirken, ist aber vor allem gegenüber seinem Rechtsschutzversicherer von Bedeutung. Um seinen Mandanten vor Rückforderungsansprüchen des Rechtsschutzversicherers zu bewahren, sollte sich der Rechtsanwalt daher bemühen, eine Verurteilung wegen Vorsatzes zugunsten einer Verurteilung wegen Fahrlässigkeit zu vermeiden. In der Praxis ist dies z.B. oft in Fällen der Trunkenheit im Verkehr möglich, bei denen die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ohnehin sehr zweifelhaft ist (§ 316 Abs. 1, 2 StGB).