I. Allgemeines
Rz. 44
Der Rechtsschutzversicherungsvertrag kommt zwischen Rechtsschutzversicherer und Versicherungsnehmer zustande. Dieser Vertrag begründet Rechte und Pflichten nur für die beiden Vertragsparteien und – teilweise – auch für die mitversicherten Personen (§ 15 ARB; siehe hierzu Rdn 102–106). Der Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers ist an diesem Vertrag nicht beteiligt, und er kann aus ihm deshalb auch keinen Gebührenanspruch herleiten. Dies gilt auch, wenn der Rechtsschutzversicherer dem Rechtsanwalt gegenüber die Deckungszusage abgegeben hat, da die Deckungszusage rechtlich lediglich gegenüber dem Versicherungsnehmer erfolgt, für den der Rechtsanwalt diese entgegennimmt.
Rz. 45
Der Anwaltsvertrag kommt nur zwischen Versicherungsnehmer und Rechtsanwalt zustande. Dies gilt auch für den Fall, dass der Rechtsschutzversicherer den Rechtsanwalt für den Versicherungsnehmer ausgewählt und beauftragt hat (§ 17 Abs. 1 ARB bzw. Nr. 4.1.3 ARB 2012). Denn der Rechtsschutzversicherer handelt nur im Namen des Versicherungsnehmers (§ 17 Abs. 2 S. 1 ARB bzw. Nr. 4.1.3 S. 2 ARB 2012). Deshalb haftet der Rechtsschutzversicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer auch nicht für schadenverursachendes Fehlverhalten des von ihm ausgewählten und/oder beauftragten Rechtsanwaltes (§ 17 Abs. 2 S. 1 ARB bzw. Nr. 4.1.3 S. 3 ARB 2012). Etwas anderes kann bei einem Auswahlverschulden des Rechtsschutzversicherers gelten (Ausnahmefall).
II. Versicherungsanspruch
Rz. 46
Der Rechtsschutzversicherer sorgt gem. § 1 ARB dafür, dass der Versicherungsnehmer seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann, und trägt die für die Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten (Rechtsschutz). Hieraus wird deutlich, dass der Rechtsschutzversicherer zwei Leistungen zu erbringen hat: Er ist zu einer Sorgeleistung verpflichtet (Auswahl des Rechtsanwaltes, § 17 Abs. 1 ARB bzw. Nr. 4.1.3 ARB 2012; Beschaffung einer Übersetzung, § 5 Abs. 5 a ARB bzw. Nr. 2.3.2.4 ARB 2012; Beschaffung eines zinslosen Darlehens, § 5 Abs. 5 b ARB bzw. Nr. 2.3.3.5 ARB 2012) und zu der für die Praxis wesentlich wichtigeren Kostenbefreiung gem. §§ 1, 5 ARB bzw. Nr. 2.3.3.4 ARB 2012. Nach der im Rahmen der Reform des VVG 2008 neu eingeführten Regelung des § 125 VVG ist der Rechtsschutzversicherer verpflichtet, "die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten erforderlichen Leistungen im vereinbarten Umfange zu erbringen". Der Gesetzgeber wollte damit lediglich "in Anlehnung an Formulierungen gängiger AVB den hauptsächlich mit einer Rechtsschutzversicherung verfolgten wirtschaftlichen Zweck" beschreiben. Um die künftige Produktentwicklung nicht zu hemmen, sondern neue Versicherungs- und Leistungsformen zu ermöglichen, ist die Vorschrift dispositiv (vgl. § 129 VVG). Mit dieser gesetzlichen Definition übereinstimmend regeln auch § 1 ARB 2008/2010 bzw. Nr. 1 ARB 2012 abweichend von den bisherigen ARB ohne die Differenzierung nach der Sorgeleistung und der Kostenbefreiung die Aufgaben der Rechtsschutzversicherung.
Rz. 47
Der Anspruch des Versicherungsnehmers nach § 5 ARB bzw. Nr. 2.3.3.4 ARB 2012 richtet sich – wie der Anspruch nach § 2 ARB 75 – grundsätzlich nicht auf Zahlung, sondern auf Befreiung von den bei der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen entstehenden Kosten. Es handelt sich um einen Schuldbefreiungsanspruch, der mit einem Zahlungsanspruch nicht identisch ist. Er ergibt sich aus §§ 1, 5 Abs. 2 a Alt. 1. Dieser Freistellungsanspruch ist – seinem Wesen entsprechend – nicht abtretbar (§ 399 BGB), nicht pfändbar (§ 851 Abs. 2 ZPO) und nicht verpfändbar (§ 1274 Abs. 2 BGB). Er wird als vertretbare Handlung gem. § 887 Abs. 1, 2 ZPO vollstreckt. Voraussetzung für einen Freistellungsanspruch ist stets, dass ein entsprechender Anspruch des Rechtsanwalts gegen seinen Mandanten besteht. Daher ist der Rechtsschutzversicherer nicht leistungspflichtig, wenn dem Versicherungsnehmer durch schuldhaftes anwaltliches Fehlverhalten Rechtskosten entstehen, die bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Anwaltsvertrages nicht angefallen wären, und dadurch der Vergütungsanspruch des Anwalts entfällt.
Rz. 48
Folgende Ansprüche kann der Versicherungsnehmer im Streitfall gegen den Rechtsschutzversicherer geltend machen:
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Der Anspruch auf Kostenbefreiung wird fällig, sobald der Versicherungsnehmer nachweist, dass er zur Zahlung verpflichtet ist (§ 5 Abs. 2 a Alt. 1 ARB bzw. Nr. 2.3.3.4 Alt. 1 ARB 2012; ähnlich § 2 Abs. 2 ARB 75). Ist die Freistellungsverpflichtung fällig, kann der Versicherungsnehmer Klage (Leistungsklage) auf Kostenbefreiung erheben. Der Klageantrag in diesem Fall könnte etwa lauten: "Der Beklagte (Rechtsschutzversicherer) wird verurteilt, den Kläger (Versicherungsnehmer) von der Inanspruchnahme durch (den Gläubiger) gemäß Kostenrechnung vom … in Höhe von … freizustellen." Zur Möglichkeit des Rechtsschutzversicherers, den Befreiungsanspruc... |