Rz. 69
Angesichts der großen Bedeutung, welche die Deckungszusage für den Versicherungsnehmer hat, ist dieser natürlich daran interessiert, dass der Rechtsschutzversicherer so schnell wie möglich über die Deckungsfrage entscheidet und – bei Bejahung des Versicherungsschutzes – Deckungszusage erteilt. Gelegentlich meinen die Rechtsschutzversicherer, hierzu noch nicht in der Lage zu sein. Das gilt etwa für die Fälle, in denen der Rechtsschutzversicherer annimmt, es läge ein Risikoausschluss vor, der Sachverhalt sei aber noch nicht so ausreichend geklärt, dass Versicherungsschutz versagt werden könne. Fraglich ist, wie sich der Rechtsschutzversicherer in einer solchen Situation zu verhalten hat. Die Rechtsprechung vertritt unterschiedliche Lösungen:
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Ein Teil der Rechtsprechung geht davon aus, dass der Rechtsschutzversicherer, der begründete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Risikoausschlusses hat – in der Praxis ist das häufig der Verdacht, der Versicherungsfall sei vorsätzlich (§ 4 Abs. 2 a ARB 75) oder mittels vorsätzlicher Straftat (§ 3 Abs. 5 ARB) herbeigeführt oder fingiert worden –, berechtigt sei, die Deckungsfrage bis zur endgültigen Klärung im Hauptprozess zurückzustellen; so lange sei der Versicherungsanspruch nicht fällig und die Deckungsklage müsste abgewiesen werden. |
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Eine andere Meinung geht dahin, den Rechtsschutzversicherer für verpflichtet zu halten, bis zur endgültigen Klärung vorläufigen Deckungsschutz zu gewähren. Der Rechtsschutzversicherer wäre hiernach verpflichtet – allerdings unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung –, den Hauptprozess vorzufinanzieren, also Gerichtskosten für die Klage, Gebührenvorschüsse für den Rechtsanwalt u.Ä. zu zahlen. |
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Eine dritte Meinung vertritt schließlich das OLG Hamm. Es geht davon aus, dass der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gem. § 2 Abs. 2 ARB 75 (§ 5 Abs. 2 a ARB) fällig werde, sobald der Versicherungsnehmer wegen der Kosten in Anspruch genommen wird – egal, ob vom Prozessgegner oder vom eigenen Rechtsanwalt. Mit Fälligkeit müsse der Rechtsschutzversicherer leisten; ob er Anlass zu der Annahme hat, es könne ein Risikoausschluss vorliegen oder nicht, spiele nur für die Frage eine Rolle, ob der Rechtsschutzversicherer in Verzug gewesen und zum Ersatz eines Verzugsschadens verpflichtet sei. Diese Rechtsprechung zwingt den Rechtsschutzversicherer zur Entscheidung. Er muss, wenn der Versicherungsnehmer dies verlangt, sich entscheiden, ob er Deckung gewährt oder nicht. Ein "Offenhalten" dieser Frage kommt nach OLG Hamm nicht in Betracht. Deshalb hält es auch eine Aussetzung des Deckungsprozesses gem. § 148 ZPO bis zur endgültigen Entscheidung des Hauptprozesses nicht für zulässig. |
Rz. 70
Die ersten beiden Meinungen gehen von einer Klärung der Deckungsvoraussetzungen im zugrunde liegenden Rechtsstreit (Ausgangsverfahren) aus. Fraglich ist jedoch, ob im Ausgangsverfahren die Voraussetzungen der Deckung verbindlich geklärt werden können. Die früher h.M. ging tatsächlich – vergleichbar der Bindungswirkung der Feststellungen im Haftpflichtprozess für den Deckungsprozess in der Haftpflichtversicherung – von einer Bindungswirkung der Feststellungen im Ausgangsverfahren für das Deckungsverhältnis bei Vorliegen einer Voraussetzungsidentität aus. Dieser Ansicht hat jedoch der BGH in seiner insoweit grundlegenden Entscheidung eine Absage erteilt. Danach besteht keine Bindungswirkung des letztlichen Ergebnisses des Ausgangsverfahrens, da bei der Rechtsschutzversicherung stets eine Prognoseentscheidung zu treffen und damit die Betrachtung ex ante maßgeblich sei. Dem ist zuzustimmen, da das Wesen der Rechtsschutzversicherung darin besteht, zum Zeitpunkt des Beginns der Interessenwahrnehmung (Deckungszusage) über die Kostenübernahme verbindlich zu entscheiden, ohne dass diese Entscheidung vom letztlichen Ausgang des zu finanzierenden Rechtsstreits abhängt. Das verbleibende Risiko einer Fehlprognose soll ja gerade durch die Rechtsschutzversicherung abgedeckt werden.
Rz. 71
Aufgrund der genannten BGH-Entscheidung besteht keinerlei Rechtfertigung, die verbindliche Entscheidung über die Deckungsfrage vom Ergebnis des Ausgangsverfahrens abhängig zu machen, so dass bereits aus diesem Grund die ersten beiden Meinungen abzulehnen sind. Vielmehr ist vom Rechtsschutzversicherer aufgrund der durch den Versicherungsnehmer erteilten Informationen über die Deckung (abschließend) zu entscheiden, wie auch der BGH zwischenzeitlich noch einmal ausdrücklich bestätigt hat. Dies hat grundsätzlich in allen Fällen zu gelten, in denen die Deckung von Voraussetzungen abhängt, über deren Vorliegen im Ausgangsverfahren gerade gestritten wird. In Betracht kommen etwa Voraussetzungen der versicherten Leistungsarten (z.B. Arbeitnehmereigenschaft gem. § 2 b ARB), der versicherten Eigenschaften (z.B. Haltereigenschaft gem. § 21 Abs. 1 ARB) aber auch der Risikoausschlüsse (z.B. Vorsatzausschluss gem. § 3 Abs. 5 ARB). Wenn in all diesen Fällen ...