A. Bedeutung
Rz. 1
Die Rechtsschutzversicherung hat in den letzten Jahrzehnten einen nicht vorhergesehenen Aufschwung genommen. Hervorgegangen aus mittelalterlichen genossenschaftlichen Einrichtungen, verfügten in Deutschland im Jahre 1998 ca. 17 Mio. Haushalte (= ca. 38 Mio. Personen) über eine Rechtsschutzversicherung, also etwas mehr als 45 %. Die deutschen Rechtsschutzversicherer zahlten an Rechtsanwaltsgebühren im Jahre 1998 knapp 3 Mrd. DM.
Rz. 2
Interessant ist, wie sich die etwa 3,4 Mio. Versicherungsfälle im Jahre 2000 auf die verschiedenen Leistungsarten der Rechtsschutzversicherung aufteilten:
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120.000 auf das Sozialrecht, |
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160.000 auf die Beratung im Familien- und Erbrecht, |
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460.000 auf das Nachbar- und Mietrecht, |
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570.000 auf das Arbeitsrecht, |
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640.000 auf das Vertrags- und Sachenrecht, |
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720.000 auf das Schadensersatzrecht und |
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680.000 auf Straf- und Ordnungswidrigkeiten. |
Rz. 3
Der Arbeitsrechtsschutz macht mit 570.000 Versicherungsfällen etwa 16,9 % aller Versicherungsfälle in der Rechtsschutzversicherung aus. Schiller weist darauf hin, dass bezogen auf die Kosten (im Arbeitsrechtsschutz fast ausschließlich Rechtsanwaltsgebühren) über 30 % aller Leistungen der Rechtsschutzversicherer auf diese Leistungsart entfallen. Insbesondere der große Anteil der auf das Sozialrecht und das Arbeitsrecht entfallenden Leistungen der Rechtsschutzversicherer macht die soziale Funktion der Rechtsschutzversicherung deutlich (vergleichbar mit der Haftpflichtversicherung), die dem Staat erhebliche Kosten abnimmt, für die er im Rahmen der Prozesskostenhilfe aufzukommen hätte. Von der Richterschaft werden immer wieder alte Vorurteile reaktiviert, nämlich dass – insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Zahl der in Deutschland tätigen Rechtsanwälte – die Existenz der Rechtsschutzversicherung zu einer Mehrbelastung der Justiz führe. Der Vorwurf ist – bis auf einige Verkehrssachen – unbegründet und durch keine Untersuchung bestätigt worden. Der Einwand wäre ohnehin nur relevant, wenn die von rechtsschutzversicherten Parteien geführten Rechtsstreitigkeiten auffallend erfolglos enden würden, was nicht der Fall ist.
Rz. 4
Angesichts der Rechtsunsicherheit, die große Teile der Rechtsprechung erfasst und die eine vernünftige Kalkulation des Prozessausganges häufig unmöglich macht, hat die Rechtsschutzversicherung für viele Rechtssuchende eine erhebliche Bedeutung erlangt. Die Meinung, eine Rechtsschutzversicherung sei entbehrlich, weil im Fall einer erfolgreichen Rechtsverfolgung der Gegner ohnehin die Kosten zu erstatten habe, war noch nie richtig und ist es heute weniger denn je.
B. Einführung
I. Materialien
Rz. 5
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§§ 125–129 VVG, |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 75), |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 94), |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2000), |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008), |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2010), |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2012), |
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… |
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Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2021). |
II. ARB 75, ARB 94, ARB 2000, ARB 2008, ARB 2010, ARB 2012 und ARB 2021
Rz. 6
Die Rechtsschutzversicherung ist – wie viele andere Versicherungszweige auch – im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vom 30.5.1908 nicht ausführlich geregelt. Im Jahre 1990 wurden lediglich in Erfüllung einer EG-Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung vom 22.6.1987 die §§ 126–129 (§§ 158l–158 o VVG a.F.) in das VVG eingefügt, die aber über wichtige Grundsätze – wie etwa § 127 VVG (§ 158m VVG a.F.), der die freie Rechtsanwaltswahl durch den Versicherungsnehmer gewährleistet – nicht hinausgehen. Im Rahmen der Reform des VVG 2008 ist über die bisherigen vier Paragraphen hinaus zusätzlich § 125 VVG aufgenommen worden, der jedoch lediglich eine allgemeine Definition der Rechtsschutzversicherung enthält.
Rz. 7
Allein aufgrund der gesetzlichen Regelungen kann ein für die Praxis tauglicher Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht abgeschlossen werden. Die gesetzlichen Grundlagen erfordern eine Ausfüllung durch Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB). Nach früherem Recht bedurften AVB als Teil des Geschäftsplanes (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 VAG a.F.) der Genehmigung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (§ 5 Abs. 1 VAG a.F.). Auch die Änderung von AVB war genehmigungspflichtig (§ 13 Abs. 1 S. 1 VAG a.F.). Durch das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21.7.1994 entfiel diese Genehmigungspflicht per 29.7.1994. Vor diesem Stichtag verwendeten die Rechtsschutzversicherer einheitlich die vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungsw...