Dr. iur. Matthias Franzke
Rz. 40
Streitig sind diejenigen Konstellationen, in denen der Geschädigte Kenntnis von einem unreparierten Vorschaden im erneut anstoßrelevanten Fahrzeugbereich hat, diesen jedoch gegenüber dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer und dem erkennenden Gericht verschweigt oder dessen Existenz bestreitet. Wird durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen bestätigt, dass wegen der im Unfallzeitpunkt nicht reparierten Vorschäden ein zusätzlicher Schaden nicht festgestellt werden kann, entfällt ein Schadensersatzanspruch des klagenden Geschädigten.
Rz. 41
Die überwiegende instanzgerichtliche Rechtsprechung geht einen Schritt weiter. Danach kann der Geschädigte selbst kompatible Schäden nicht ersetzt verlangen, wenn nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind und nicht sämtliche vom Geschädigten geltend gemachten Schäden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Andere Gerichte urteilen weniger streng. Auch bei einem verschwiegenen oder bestrittenen relevanten Vorschaden bestehe ein Ersatzanspruch insoweit, als der geltend gemachte Folgeschaden sich technisch und rechnerisch eindeutig vom Vorschaden abgrenzen lässt.
Bei einem vorsätzlichen Verschweigen eines bekannten Vorschadens oder bei wahrheitswidriger Behauptung einer fachgerechten Reparatur des Vorschadens liegt ein Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO vor. Teilweise wird darin ein besonders grober Treueverstoß nach § 242 BGB gesehen, welcher zum Verlust des Schadensersatzanspruchs führen kann.
Rz. 42
Liegt mithin ein Vorschaden mit Schadensüberlagerung in Bezug auf den Neuschaden vor und bestreitet der Haftpflichtversicherer die unfallbedingte Kausalität der geltend gemachten Schäden, trifft den Geschädigten eine gesteigerte Darlegungslast. Der Geschädigte muss in diesen Fällen im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits vorhanden waren, wofür er im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss. Zeugen zur Vorschadensreparatur sind nur dann zu vernehmen, wenn der Vortrag des Geschädigten zu Art und Ausführung der Vorschadensreparatur ausreichend substantiiert ist. Andernfalls handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Nach aktueller Rechtsprechung gilt dies auch dann, wenn der Vorschaden außerhalb der Besitzzeit des Geschädigten eingetreten ist.
Praxistipp
Bestreitet der Haftpflichtversicherer aufgrund eines einschlägigen Vorschadensereignisses substantiiert die unfallbedingte haftungsausfüllende Kausalität, ist für den Anwalt des Geschädigten erhöhte Vorsicht geboten. Denn verschweigt sein Mandant weiterhin einen relevanten Vorschaden oder leugnet diesen hartnäckig, hat dies den Verlust der Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO zur Folge. Einzig sinnvoll ist daher, zu der Vorschadensproblematik umfassend und wahrheitsgemäß vorzutragen, zumal durch die Bestellung eines Sachverständigen ganz erhebliche Prozesskosten produziert werden. Ist der Vorschaden beim früheren Eigentümer eingetreten, sollte der Vorbesitzer kontaktiert und um Übermittlung von Reparaturbelegen gebeten werden.