Dr. iur. Matthias Franzke
A. Einleitung
Rz. 1
Manipulierte Verkehrsunfälle spielen in der gerichtlichen und anwaltlichen Praxis eine erhebliche Rolle. Ein Blick in die veröffentlichte Judikatur bestätigt diese Feststellung. Die einschlägigen Fachzeitschriften und Rechtsprechungsportale dokumentieren eine Fülle höchstrichterlicher und instanzgerichtlicher Urteile und Beschlüsse, in denen vom beklagten Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer vorgetragen wird, der präsentierte Unfall sei inszeniert und bezwecke die Erschleichung von Versicherungsleistungen. Der BGH hat bereits in einer Leitentscheidung aus dem Jahre 1977 die Problematik manipulierter Verkehrsunfälle erkannt und auf den hierdurch entstehenden Gesamtschaden der Versicherungswirtschaft hingewiesen.
Rz. 2
Der mit der Verkehrsunfallbearbeitung befasste Anwalt kommt aus gewichtigen Gründen nicht umhin, sich mit dem Einwand der Unfallmanipulation eingehend zu befassen. Betrugsindizierte Verkehrsunfallprozesse weisen – dazu nachfolgend – zahlreiche Besonderheiten im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast auf. Deren Kenntnis ist unabdingbar, soll ein frühzeitiger Prozessverlust mangels ausreichendem und unter Beweis gestellten Sachvortrags vermieden werden.
Rz. 3
Daneben ist im Mandatsverhältnis grundsätzlich zu beachten, dass der Anwalt als Interessenvertreter seiner Partei zur bestmöglichen Verteidigung gegenüber dem Einwand behaupteter Unfallmanipulation verpflichtet ist. Andererseits besteht das Risiko, entgegen anwaltlichem Selbstverständnis vom Unfallmanipulanten instrumentalisiert zu werden. Nicht selten geraten die vom vermeintlichen Unfallopfer beauftragten Dienstleister selbst in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen.
Rz. 4
Schließlich sind es auch wirtschaftliche Erwägungen, die der Geschädigtenanwalt bei behaupteter Unfallmanipulation zu berücksichtigen hat. Stellt sich nach Durchführung der Beweisaufnahme heraus, dass der Mandant durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat, kann das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben. Ebenso häufen sich in der Praxis diejenigen Fälle, in denen der Rechtsschutzversicherer des Mandanten nach Übermittlung eines klageabweisenden und auf den Tatbestand einer Unfallmanipulation gestützten Urteils den ursprünglich erteilten Deckungsschutz rückwirkend versagt.
B. Erscheinungsformen der Unfallmanipulation
Rz. 5
Auch wenn die Terminologie teilweise divergiert, haben sich in der Praxis folgende Betrugsvarianten herauskristallisiert.
I. Gestellter oder verabredeter Verkehrsunfall
Rz. 6
Der gestellte oder abgesprochene Verkehrsunfall zeichnet sich dadurch aus, dass zwischen den Fahrzeugen zwar eine Kollision stattgefunden hat, Schädiger und Geschädigter diese aber im Vorhinein verabredet haben. Dabei handelt es sich um die häufigste Erscheinungsform der Unfallmanipulation mit dem Ziel, schwer verwertbare Fahrzeuge zu "entsorgen", finanziellen Gewinn mittels Abrechnung auf fiktiver Reparaturkostenbasis und Billigreparatur zu generieren oder bereits vorhandene Fahrzeugschäden einem angeblich späteren Unfallereignis unterzuschieben. Eine besondere Form des gestellten Verkehrsunfalls ist das sogenannte "Berliner Modell". Ein parkendes Fahrzeug wird mit einem kurz zuvor gestohlenen Fahrzeug angefahren, wonach der Täter flüchtet und hierdurch unbekannt bleibt.