Rz. 21
Eine Haftung aus Verschulden vor oder bei Vertragsschluss setzt voraus, dass eine schuldhafte Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) zu einem haftungsrechtlich zurechenbaren Schaden geführt hat (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB).
I. Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht
Rz. 22
Aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen, das eine vertragsähnliche, vom Zustandekommen eines Vertrages weitgehend unabhängige Rechtsbeziehung begründet, ergeben sich zwar keine primären Leistungspflichten (§ 241 Abs. 1 BGB), wohl aber Schutzpflichten ggü. dem Verhandlungspartner. Nach § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB ist insoweit jeder Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Daraus kann eine Pflicht zu einer Aufklärung, einem Hinweis, einer Auskunft, einer Beratung oder zur Obhut und Fürsorge entstehen.
Eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss steht einem Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB) nicht entgegen; für einen auf Täuschung oder Drohung beruhenden Schadensersatzanspruch gilt nicht – auch nicht analog – die Jahresfrist des § 124 BGB.
Rz. 23
Eine Schutzpflicht im vorstehenden Sinne obliegt einer Partei bei der Anbahnung eines Vertrages nur insoweit, als der Verhandlungs- und künftige Vertragspartner über diejenigen entscheidungserheblichen Umstände zu unterrichten ist, über die er eine Aufklärung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr (§ 242 BGB) redlicherweise erwarten darf. Deswegen besteht keine regelmäßige Pflicht einer Partei, von sich aus – ungefragt – einen anderen vor oder bei Vertragsschluss über das damit verbundene Risiko zu unterrichten. Nur ausnahmsweise kann eine Aufklärungs- und Warnpflicht mit Rücksicht auf den Zweck des angestrebten Vertrages und nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann bestehen, wenn wegen besonderer Umstände des Einzelfalls davon auszugehen ist, dass der Verhandlungs- und künftige Vertragspartner nicht hinreichend unterrichtet ist und die Verhältnisse nicht durchschaut, insb. dann, wenn die andere Partei einen Wissensvorsprung hat.
Dementsprechend entfällt eine solche Schutzpflicht, wenn beide Verhandlungspartner über dieselben Erkenntnismöglichkeiten verfügen und infolgedessen nicht darauf angewiesen sind, dem anderen Teil besonderes Vertrauen entgegenzubringen.
Rz. 24
Danach besteht z.B. eine vorvertragliche Aufklärungspflicht in folgenden Fällen:
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Ein Wirtschaftsprüfer, der im Rahmen eines Kapitalanlagesystems durch falsche Prüftestate bei Anlegern einen Vertrauenstatbestand begründet hat, muss geeignete Maßnahmen ergreifen, um diesen zu beseitigen; wirbt der Auftraggeber mit den Prüfberichten um Anleger, so hat der Wirtschaftsprüfer die Anleger zu warnen. |
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Bei Verhandlungen über den Kauf eines Unternehmens oder von GmbH-Geschäftsanteilen obliegt dem Verkäufer eine gesteigerte Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht, v.a. zur Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens; diese Pflicht erstreckt sich auch auf alle Umstände, die die Überlebensfähigkeit des Unternehmens ernsthaft gefährden. |
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Bei Verhandlungen über den Verkauf einer Eigentumswohnung als Kapitalanlage hat der Verkäufer den Käufer in einem Prospekt wahrheitsgemäß und vollständig über diejenigen Umstände zu unterrichten, die für die Kaufentscheidung erheblich sind; dazu kann auch eine erkennbar drohende finanzielle Überforderung gehören. |
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Bei Verhandlungen über einen Bauvertrag muss der Verhandlungsführer den Auftragnehmer darüber aufklären, dass Auftraggeberin eine Gesellschaft ungarischen Rechts mit ausschließlichem Sitz in Ungarn ist. |
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Bei der Beurkundung eines Kaufvertrages hat der Makler, der im Wege des Vertrags zugunsten Dritter einen Provisionsanspruch gegen den Käufer erhält, diesen darüber aufzuklären, dass der Verkäufer falsche Angaben über den Zustand des Kaufgrundstücks macht. |
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Ein Rechtsanwalt hat seinen künftigen Mandanten gemäß der seit dem 1.7.2004 geltenden Bestimmungen des § 49b Abs. 5 BRAO zu belehren; ein Schadensersatzanspruch des Mandanten wegen Verletzung dieser Pflicht kann einer Honorarforderung des Rechtsanwalts entgegenstehen. |
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Ein Rechtsanwalt hat denjenigen, der ihm ein Mandat anträgt, auch ungefragt darüber aufzuklären, dass er oder ein anderes Mitglied seiner Sozietät den Gegner dieser Person häufig in Rechtsangelegenheiten vertritt, unabhängig davon, ob ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang mit dem neuen Mandat besteht; das gilt insb. dann, wenn der Rechtsanwalt von Anfang an nicht bereit ist, diese Person auch vor Gericht zu vertreten (vgl. § 1 Rdn 224). |
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Unabhängig von § 49b Abs. 5 BRAO braucht der Rechtsanwalt ungefragt den Mandanten grds. nicht auf die gesetzliche Vergütungspflicht hinzuweisen. Nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls kann der Rechtsanwalt aber nach Treu und Glauben verpflichtet sein, auch ohne Frage des Auftraggebers diesen vor Vertragsschluss über die voraussichtliche Vergütungshöhe aufzuklä... |