BGH: Probleme der „Falsa demonstratio“ beim Grundstückskauf

Geht der Käufer eines Grundstücks nach dessen Besichtigung irrtümlich davon aus, dass das Nachbargrundstück dazugehört, so kann in der Regel nicht von einer Einigung über den Miterwerb des Nachbargrundstücks ausgegangen werden.

In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung hat der BGH sich mit der Rechtsfrage auseinandergesetzt, ob bei einem Grundstückskaufvertrag der Kaufgegenstand ausschließlich durch die im Kaufvertrag bezeichneten Flurstücke definiert wird bzw. inwieweit Vorstellungen der Parteien, die von dem Wortsinn der Notarurkunde abweichen, für die Bestimmung des Kaufgegenstandes entscheidend sein können.

Fehlvorstellung über Ausdehnung des Grundstücks

Im konkreten Fall hatten die Beklagten den Klägern im Dezember 2009 per notariellem Kaufvertrag ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück verkauft. Bei Vertragsschluss gingen die Kläger aufgrund einer durch den einheitlichen Gesamteindruck erweckten irrigen Vorstellung davon aus, dass ein angrenzendes, 19 m² großes Nachbarflurstück Teil des Kaufgegenstandes sein sollte. Tatsächlich befand sich dieses Flurstück im Eigentum eines Dritten.

Käufer forderten Rückabwicklung des Kaufvertrags

Die Kläger nutzten das vermeintlich mitgekaufte Flurstück über mehr als 10 Jahre. Erst im Jahr 2020 meldete sich der Nachbar und verlangte das ihm gehörende Flurstück von den Klägern heraus. Diese verklagten darauf die Verkäufer auf Rückabwicklung des Kaufvertrages. Ohne das Nachbarflurstück sei für sie der gesamte Grundstückserwerb nicht von Interesse. Außerdem forderten sie die Feststellung, dass die Beklagten sie von sämtlichen im Zuge der Rückabwicklung ergebenden materiellen Schäden freizustellen haben. Die Klage blieb über sämtliche Instanzen erfolglos.

BGH lehnt Rückabwicklung ab

Nach Auffassung des BGH steht den Klägern kein Anspruch auf Rückabwicklung gemäß § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 Satz 1 BGB zu. Ein solcher Anspruch wegen Nichterbringung der geschuldeten Leistung käme nach der Entscheidung des BGH nur dann in Betracht, wenn die Vertragsparteien sich bei Abschluss des Kaufvertrages auf die Übertragung auch des zum Nachbargrundstück gehörenden Flurstücks geeinigt hätten.

Grundstück im Notarvertrag unzweideutig bezeichnet

Die Möglichkeit einer Einigung auch hinsichtlich des Nachbargrundstücks ist trotz entgegenstehenden Wortlautes des Notarvertrages nach Auffassung des BGH nicht grundsätzlich auszuschließen. Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Ansicht könnten für die Auslegung eines gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB formbedürftigen Vertrages auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden (BGH, Urteil v. 21.10.2016, V ZR 78/16). Dies setze allerdings voraus, dass der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der notariellen Urkunde zumindest andeutungsweise einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden habe. Im konkreten Fall sei das zu veräußernde Grundstück in der notariellen Urkunde eindeutig bezeichnet worden. Die Formulierung der notariellen Urkunde enthalte keinerlei Ansätze, auf die sich eine Ausdehnung des veräußerten Grundstücks über den Wortlaut des Notarvertrages hinaus stützen ließe.

Versehentliche Falschbezeichnung kann zur Korrektur führen

Aber auch im Fall des Fehlens eines Anknüpfungspunktes in der Notarurkunde kann nach der Entscheidung des BGH eine Auslegung über den eigentlichen Wortsinn hinaus zulässig sein. Dies gelte insbesondere für den Fall einer versehentlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil v. 18.1.2008, V ZR 174/06). Nach dem Grundsatz „Falsa demonstratio non nocet“ (eine versehentliche Falschbezeichnung schadet nicht) sei der Wortsinn auch einer notariellen Urkunde nicht entscheidend, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien in der Urkunde wiedergegebene Begriffe anders als nach deren Wortsinn verstanden und mit den Flurstücks- oder Grundbuchangaben abweichende Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz verbunden haben. In diesem Fall gelte gemäß § 133 BGB nicht das fehlerhaft Erklärte, sondern das Gewollte (BGH, Urteil v. 25.3.1983, V ZR 268/61).

Abgrenzung: Versehentliche Falschbezeichnung/Abweichende Beschaffenheit

Von der versehentlichen Falschbezeichnung des Kaufgegenstandes zu unterscheiden sind nach der Entscheidung des Senats Vereinbarungen über die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes. Hier sei in der Regel wiederum davon auszugehen, dass im Vorfeld des Vertragsschlusses erteilte Informationen über das Grundstück nur dann zum Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen werden, wenn diese im Notarvertrag Erwähnung gefunden haben (BGH, Urteil v. 6.11.2015, V ZR 78/14). Im Gegensatz zu den „Falsa demonstratio-Fällen“, bei denen das von den Parteien Gewollte lediglich unter versehentlich fehlerhafter Bezeichnung beurkundet worden sei, sei bei einer von der Wirklichkeit abweichenden Vorstellung von der Beschaffenheit der Kern des Veräußerungsgeschäfts in der Urkunde richtig wiedergegeben.

Der natürliche Eindruck vom Grenzverlauf kann täuschen

Im konkreten Fall war nach Auffassung des BGH nicht ersichtlich, dass die Vertragsparteien die in der Notarurkunde verwendeten Begriffe anders als nach dem Wortsinn verstanden oder von den Flurstücks- und Grundbuchangaben abweichende Vorstellungen gehabt hätten. Dass der Grenzverlauf in der Natur anders war als von den Klägern angenommen, führe nicht zu einer von den in der Notarurkunde genannten Grundstücksbezeichnungen abweichenden Vorstellung. Dass der sich bei einer Grundstücksbesichtigung aufdrängende natürliche Eindruck über den Grenzverlauf nicht unbedingt mit der Bezeichnung von Flurstücken übereinstimme, sei als allgemein bekannt vorauszusetzen.

Fehlvorstellung existierte lediglich auf Käuferseite

Dies gelte umso mehr, wenn das vermeintlich mitverkaufte, im Vertrag nicht bezeichnete Grundstück, nicht im Eigentum des Verkäufers stehe. Im Regelfall wolle ein Verkäufer nur das in seinem Eigentum stehende Grundstück verkaufen und nicht auch das Nachbargrundstück. Im übrigen handle es sich im vorliegenden Fall nicht um eine gemeinsame Fehlvorstellung der Vertragsparteien, sondern lediglich um eine Fehlvorstellung auf Käuferseite.

Anspruch aus c.i.c. bei Aufklärungsverschulden des Verkäufers

In einem solchen Fall ist nach der Entscheidung des BGH allerdings ein Schadensersatzanspruch des Käufers aus dem Gesichtspunkt der „culpa in contrahendo“ (c.i.c. - Verschulden bei Vertragsschluss) in Betracht zu ziehen, insbesondere wenn der Verkäufer vor Vertragsschluss die unrichtige Vorstellung des Käufers über den Grenzverlauf erkennt und diesen nicht aufklärt. Gegebenenfalls könne ein solcher Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch auf Rückabwicklung des Gesamtvertrages gehen, wenn der Käufer an der Vertragserfüllung infolge der Pflichtverletzung kein Interesse mehr habe. Ein solcher, grundsätzlich möglicher Anspruch sei im vorliegenden Fall aber gemäß §§ 199, 200 BGB verjährt, da seit der Entstehung des Anspruchs (Abschluss des Kaufvertrages) mehr als 10 Jahre vergangen seien.

Anspruch auf Rückabwicklung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt

Im Ergebnis scheiterten die Kläger mit ihrem Anspruch auf Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrages in sämtlichen Instanzen.

(BGH, Urteil v. 23.6.2023, V ZR 89/22)

Hintergrund:

Die Rechtsprechung hat zur Geltung der Grundsätze der „Falsa demonstratio“ bei Grundstückskaufverträgen Fallgruppen herausgebildet. Die wesentlichen Fallgruppen sind:

  • Im notariellen Grundstückskaufvertrag wird irrtümlich die Parzellenbezeichnung verwechselt oder vergessen (BGH, Urteil v. 25.3.1983, VZR 268/81).
  • Im notariellen Kaufvertrag wird irrtümlich das gesamte Grundstück genannt, obwohl nur eine Teilfläche verkauft und übereignet werden soll (BGH, Urteil v. 12.10.2012, VZR 187/11).
  • Ein Teil der verkauften Fläche wird im notariellen Kaufvertrag versehentlich nicht genannt, obwohl sie nach der Vorstellung beider Parteien mitverkauft sein sollte (BGH, Urteil v. 18.1.2008, V ZR 174/06)

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