Rz. 254
Ein Diebstahl geschieht i.d.R. unbeobachtet, sodass der Versicherungsnehmer mit klassischen Beweismitteln keinen Vollbeweis führen kann (regelmäßig keine Zeugen oder überführte Täter). Aufgrund dieser Beweisnot sind durch die Rechtsprechung Beweiserleichterungen anerkannt worden, die allerdings eng mit der Redlichkeit des Versicherungsnehmers verknüpft sind.
a) Zwei-Stufen-Modell
Rz. 255
So hat die Rechtsprechung ein Zwei-Stufen-Modell entwickelt (BGH VersR 1992, 999; VersR 1993, 571). Danach gilt:
1. |
Der Versicherungsnehmer muss auf der ersten Stufe lediglich einen Sachverhalt beweisen, der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines Versicherungsfalls erschließen lässt. |
2. |
Der Versicherer muss sodann Tatsachen beweisen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Versicherungsfall vorgetäuscht ist. |
Rz. 256
Nach dem Zwei-Stufen-Modell sind folglich für beide Seiten Beweiserleichterungen vorgesehen:
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Der Versicherungsnehmer muss nur ein Minimum an Umständen beweisen, die auf eine Entwendung schließen lassen. |
▪ |
Der Versicherer muss nicht den vollen Gegenbeweis erbringen, sondern nur die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung. |
Rz. 257
Die Beweisanforderungen an den Versicherer sind allerdings höher, da er die "erhebliche" Wahrscheinlichkeit (für die Vortäuschung) beweisen muss, während der Versicherungsnehmer lediglich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit (das äußere Bild) beweisen muss. Gelingt es dem Versicherer, auf der zweiten Stufe den Beweis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalles zu erbringen, entfällt die Beweiserleichterung, und der Versicherungsnehmer muss den Vollbeweis erbringen, der ihm regelmäßig nicht gelingt.
b) Beweis des äußeren Bildes durch den Versicherungsnehmer (erste Stufe)
Rz. 258
Zum Beweis des äußeren Bildes gehört typischerweise, dass der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat, an dem er es später – gegen seinen Willen – nicht wieder aufgefunden hat (BGH VersR 1995, 909; VersR 2002, 431; OLG Dresden zfs 2018, 635). Dieser "Minimalsachverhalt" ist grundsätzlich voll zu beweisen; eine Diebstahlanzeige bei der Polizei reicht hierfür nicht aus (BGH VersR 1993, 571; OLG Saarbrücken VersR 2020, 28). Vorrangig hat der Beweis mittels Zeugen zu erfolgen (BGH VersR 1997, 733). Die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers ist bei der Möglichkeit des Beweises des äußeren Bildes durch Zeugen zunächst (auf der ersten Stufe) ohne Bedeutung (BGH VersR 1999, 1535).
Rz. 259
Nur bei Beweisnot kommt eine Parteianhörung des Versicherungsnehmers gem. § 141 ZPO in Betracht (BGH VersR 1991, 917; VersR 1996, 575). Im Rahmen des Beweises durch den Versicherungsnehmer selbst gilt zunächst eine Redlichkeitsvermutung. Diese kann erschüttert werden bei ernsthaften Zweifeln an der Redlichkeit aus feststehenden Umständen; bloße Verdachtsmomente reichen hierfür nicht aus (BGH VersR 1991, 917).
Rz. 260
Solche Umstände sind z.B.:
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der Versicherungsnehmer war bereits in Schadenfälle mit betrügerischem Hintergrund verwickelt (OLG Koblenz r+s 1995, 205); |
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der Versicherungsnehmer hat Schadenbelege manipuliert (OLG Hamm VersR 1985, 382); |
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der Versicherungsnehmer macht Falschangaben über Vorschäden, Tatzeit, Fahrzeugschlüssel (z.B. BGH r+s 1996, 325). |
c) Bedeutung der Vorlage der Originalschlüssel
Rz. 261
Immer wieder wird es von Versicherern problematisiert, wenn der Versicherungsnehmer nicht sämtliche Originalschlüssel vorlegen kann oder sich an den vorgelegten Schlüsseln Kopierspuren finden.
Beispiel
Der Versicherungsnehmer verlangt Ersatz für die von ihm behauptete Entwendung seines Porsches 944. Den angeblichen Diebstahl hatte er bei der Polizei angezeigt und behauptet, er habe den Wagen auf einem bestimmten Parkplatz abgestellt und nach dem Besuch einer Gaststätte nicht mehr vorgefunden. Der Versicherungsnehmer kann nur zwei der drei ihm beim Erwerb des Fahrzeugs überlassenen Originalschlüssel vorlegen, das Fehlen des Schlüssels vermag er nicht zu erklären. Zeugen sind nicht vorhanden.
Rz. 262
Das Fehlen von Originalschlüsseln bzw. einer überzeugenden Erklärung hierfür lässt das "äußere Bild" nicht entfallen (BGH VersR 1995, 909; VersR 1997, 53). Es hat für sich gesehen keine ausreichende Aussagekraft, denn
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bei Erwerb eines Gebrauchtwagens lässt sich ohnehin nicht feststellten, ob der Vorbesitzer dem Versicherungsnehmer sämtliche Schlüssel überlassen hat; |
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auch bei einem Neufahrzeug – insbesondere nach längerer Besitzdauer – können Schlüssel verloren gehen oder verlegt sein; |
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das gilt auch, wenn feststeht, dass ein Duplikat von einem Originalschlüssel gefertigt wurde (BGH VersR 1996, 1135); |
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das gilt selbst dann, wenn feststeht, dass das Fahrzeug mit einem Originalschlüssel weggefahren wurde (BGH VersR 1997, 102); |
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das gilt insbesondere auch dann, wenn der Versicherungsnehmer geltend macht, sein Fahrzeug sei vermutlich mit einem Fahrzeugschlüssel entwendet worden, den der Täter beim vorausgegangenen Wohnungseinbruch mitgenommen habe; in diesem Fall gehören Einbruchspuren nicht zum "äußeren... |