Rz. 149

Die neue Gesetzessystematik verlangt, dass gegenüber dem bisherigen Recht nicht nur die Verschuldensformen des Vorsatzes, der groben sowie der einfachen Fahrlässigkeit voneinander abzugrenzen sind, was im Einzelfall bereits zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten geführt hat. Nunmehr ist innerhalb des Bereichs der groben Fahrlässigkeit weiter nach der "Schwere des Verschuldens" zu differenzieren, um die Quote der Leistungskürzung festzulegen.

 

Rz. 150

Künftig wird es daher innerhalb der groben Fahrlässigkeit ein Spektrum von der – nahe am Grenzbereich zur einfachen Fahrlässigkeit liegenden – "leichten" groben Fahrlässigkeit (mit geringer Leistungskürzung) bis hin zur – nahe am Grenzbereich zum bedingten Vorsatz liegenden – "schweren" groben Fahrlässigkeit (mit hoher Leistungskürzung) geben. Die damit zusammenhängenden Abgrenzungsschwierigkeiten liegen auf der Hand, war doch bereits die bisherige Dreiteilung im Einzelfall alles andere als einfach vorzunehmen.

 

Rz. 151

Felsch (r+s 2007, 485 ff.) geht mit dem Bild einer Waagschale davon aus, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Leistungskürzung dem Grunde nach bei der Schwere des Verschuldens zunächst von einer "mittleren" groben Fahrlässigkeit und folglich einer "Grundquote" der Leistungskürzung von 50 % auszugehen sei. Versicherer und Versicherungsnehmer hätten sodann innerhalb des Bereichs der groben Fahrlässigkeit jeweils für sie günstige Umstände vorzutragen und ggf. zu beweisen, um die Quote in ihrem Sinne zu beeinflussen.

 

Rz. 152

Danach müsste der Versicherungsnehmer Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, die für eine "leichtere" grobe Fahrlässigkeit – mit der Folge einer geringeren Leistungskürzung als 50 % – sprechen, der Versicherer hingegen Umstände, welche eine "schwerere grobe Fahrlässigkeit" – mit der Folge einer höheren Leistungskürzung als 50 % – begründen (HK-VVG-Felsch, § 28 Rn 169ff.; Langheid, NJW 2007, 3665; Grote/Schneider, BB 2007, 2689; LG Hannover VersR 2011, 122).

 

Rz. 153

Demgegenüber wird zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der Gesetzesbegründung für das Verschuldensmaß, nach dem sich im Fall grober Fahrlässigkeit der Umfang der Leistungspflicht bestimmt, der Versicherer beweispflichtig ist (BReg., BT-Drucks 16/3945, S. 69; Langheid/Rixecker, VVG, 6. A. 2019, § 28 Rn 89; Prölss/Martin-Armbrüster, VVG, § 28 Rn 237; OLG Saarbrücken zfs 2011, 211; OLG Düsseldorf VersR 2011, 1388; LG Nürnberg-Fürth, VersR 2010, 1635; LG Dortmund VersR 2010, 1594; LG Nürnberg-Fürth VersR 2010, 1635; vgl. Burmann/Heß/Höke/Stahl, S. 81 Rn 247; so auch "Goslarer Orientierungsrahmen", zfs 2010, 12). Diese Klarstellung in der Gesetzesbegründung ist lediglich deklaratorischer Natur, denn sie entspricht der aufgrund der Gesetzesformulierung ohnehin geltenden prozessualen Grundregel, wonach der Versicherer die konkrete "Schwere des Verschuldens" als ihm günstige Voraussetzung der Leistungskürzung zu beweisen hat.

 

Rz. 154

 

Hinweis

Die Annahme einer – aus praktischen Gründen zwar verständlichen – Grundquote von 50 % ist daher abzulehnen. Vielmehr hat der Versicherer – trotz der gesetzlichen Vermutung grober Fahrlässigkeit bei objektiver Obliegenheitsverletzung – innerhalb des Bereichs der groben Fahrlässigkeit jegliches Verschuldensmaß als Voraussetzung seiner Leistungskürzung zu beweisen.

 

Weiterer Hinweis

Im Falle des Regresses in der KH-Versicherung trägt der Versicherer ohnehin die volle Beweislast für sämtliche Voraussetzungen der Leistungsfreiheit (vgl. dazu Rdn 109 ff.) und damit selbst dann für jegliches Verschuldensmaß innerhalb der groben Fahrlässigkeit, wenn grundsätzlich der Auffassung gefolgt wird, wonach beweismäßig von einer "Grundquote" von 50 % auszugehen ist.

Daher dürfte die streitige Beweislastverteilung bei der Leistungskürzung ohnehin nur im Bereich der Kaskoversicherung von Bedeutung sein.

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