Für die Höhe der Kürzung gibt es keine allgemein gültigen Vorgaben. Wichtig für Versicherungsnehmer: Der Versicherer muss die grobe Fahrlässigkeit beweisen. In einem gerichtlichen Deckungsprozess sollte der Versicherungsnehmer daher besonders sorgfältig die subjektive Seite seines Verhaltens darlegen, da diese für den Grad der groben Fahrlässigkeit von entscheidender Bedeutung ist.
Nach einer Entscheidung des OLG Hamm ist eine Regelung in den AGB eines Autovermieters, die eine vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung zugunsten des Fahrzeugmieters für den Fall grober Fahrlässigkeit vollständig ausschließt, wegen einer Abweichung vom Leitbild des § 81 Abs. 2 VVG für die Vollkaskoversicherung unwirksam (OLG Hamm, Urteil v. 21.11.2021, 7 U 31/21; ähnlich: BGH, Urteil v. 11.10.2011, VI ZR 46/10).
Quoten für Kaskofälle im Kfz-Bereich
Für Kaskoversicherungsfälle im Kfz-Bereich hat ein Arbeitskreis auf dem 47. Verkehrsgerichtstag in Goslar Grundsätze und Quoten entwickelt, die die noch heute in der Praxis als Anhaltspunkte dafür dienen, in welchem Umfang Versicherer bei grober Fahrlässigkeit die Leistungen kürzen können.
Kürzung des Kasko-Versicherungsschutzes bei grober Fahrlässigkeit | |
Ursache für Versicherungsschaden | Kürzung der Versicherungsleistung |
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit | |
ab 1,1 Promille (absolute Fahruntüchtigkeit) | 100 % |
0,5 bis 1,1 Promille | 50 % |
0,3 bis 0,5 Promille | keine allg. Empfehlung, Frage des Einzelfalls |
Drogenbedingte Fahruntüchtigkeit | 50 bis 100 %, Frage des Einzelfalls |
Überlassen eines Fahrzeugs an Fahrer ohne Fahrerlaubnis | |
im privaten Bereich | Keine Kürzung der Versicherungsleistung |
im gewerblichen Bereich | 25 % |
Missachtung eines Stoppschildes oder eines festen grünen Abbiegepfeils | 25 % |
Verkehrsunsichere Bereifung | 25 % |
Diebstahl | |
Schlüssel steckt im Zündschloss | 75 % |
Sonstiger gefahrengeneigter Umgang mit Kfz-Schlüsseln | 25 % |
Quelle: Empfehlungen des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstags in Goslar |
Praxistipp: Risiko der groben Fahrlässigkeit ausschließen
Leistungskürzungen von Versicherern sind ein zum Teil schwer kalkulierbares Risiko für Versicherte. Inzwischen schließen viele Versicherungen in ihren Bedingungen das Risiko der groben Fahrlässigkeit größtenteils oder ganz aus. Nach Angaben des Bunds der Versicherten kosten derartige Policen im Kfz-Bereich im Durchschnitt kaum noch mehr. Zu beachten ist allerdings, dass die meisten Versicherungen Ausnahmen bei im einzelnen aufgelisteten Fällen grober Fahrlässigkeit machen, so bei Herbeiführung eines Verkehrsunfalls im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogenkonsum oder grob fahrlässiger Herbeiführung eines Autodiebstahls (Schlüssel im Zündschloss). In diesen Fällen führt grobe Fahrlässigkeit also regelmäßig doch zur Leistungskürzung.
Beispiele im Kfz-Bereich
Überfahren einer roten Ampel
Grundsätzlich wird ein Rotlichtverstoß oder das Überfahren eines Stoppschildes als grob fahrlässig angesehen (BGH, Urteil v. 8.7.1992, IV ZR 223/91; BGH, Urteil v. 29.1.2003, VI ZR 173/01). Doch es gibt Konstellationen, in denen sich die Rechtsprechung nachsichtig zeigt. Beispielsweise sah das OLG Hamm keine grobe Fahrlässigkeit bei einem ortsunkundigen Kraftfahrer, der im Bereich einer Straßenkreuzung durch den Spurwechsel eines großen Busses irritiert worden war und deshalb die rote Ampel übersah und einen Unfall verursachte. Die Versicherung wurde deshalb verurteilt, den gesamten Schaden in Höhe von 9.000 Euro zu übernehmen. (OLG Hamm, Urteil v. 25.10.2000, 20 U 66/00).
Alkohol am Steuer
Wer alkoholisiert Auto fährt und einen Unfall verursacht, riskiert seinen Versicherungsschutz. Je nach der Höhe des Alkoholgehalts, kann die Versicherung die Leistung auch auf Null kürzen, hat der BGH entschieden (BGH, Urteil v. 22.6.2011, IV ZR 225/10). In dem Fall war dem Unfallverursacher eine Blutalkoholkonzentration von 2,70 Promille nachgewiesen worden. Diese absolute Fahruntüchtigkeit (die Grenze liegt bei 1,1 Promille) führe aber nicht zwangsläufig zu einer kompletten Leistungskürzung, entschieden die Richter. Es müssen immer die Umstände des Einzelfalls abgewogen werden.
Fahrzeugpapiere im Auto gelassen
Wer Fahrzeugpapiere oder Zündschlüssel im Auto deponiert, muss sich nicht wundern, wenn das Auto gestohlen wird. Dass die Versicherung in einem derartigen Fall nicht zahlt, scheint nachvollziehbar. In dieser Allgemeinheit lässt sich dies aber nicht sagen. Zwar gilt grundsätzlich: Wird ein Autodiebstahl durch unsorgfältiges Verhalten des Halters ermöglicht oder gefördert, liegt grobe Fahrlässigkeit vor.
In einem vor dem OLG Hamm verhandelten Fall musste die Versicherung dennoch zahlen. Die Argumentation des Gerichts lautete: Entscheidend ist, ob der Diebstahl durch das Deponieren der Schlüssel im Auto gefördert wurde. Da die Diebe weder von den Papieren noch von den Schlüsseln im Auto wussten, sahen die Richter hier keinen ursächlichen Zusammenhang. Die beklagte Kaskoversicherung musste den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs in Höhe von 24.150 Euro komplett zahlen (OLG Hamm, Urteil v. 11.3.2005, 20 U 226/04).
Beispiele im Sachversicherungsbereich
Wohnungstür nur zugezogen
Grobe Fahrlässigkeit wurde dem Versicherungsnehmer einer Einbruch-Diebstahl- und Beraubungsversicherung attestiert, der die Wohnungstür seiner in einem Mehrfamilienhaus liegenden Wohnung nur zugezogen und nicht abgeschlossen hatte. Es sei allgemein bekannt, dass der Sicherheitsstandard einer in einem Mehrfamilienhaus liegenden Wohnung herabgesetzt ist, wenn die Wohnungstür nicht verschlossen ist, urteilte das OLG Bremen (VersR 1991, 1240). Ähnliches gilt, wenn ein Dieb aus einem Fahrzeug eine von außen sichtbare Aktentasche entwendet, in der sich der Wohnungsschlüssel des Fahrzeughalters befindet und der Dieb anschließend unter Nutzung des Wohnungsschlüssels die Wohnung und den dort befindlichen Tresor ausgeräumt. In diesem Fall ist auch die Hausratversicherung nicht zur Leistung verpflichtet (KG Berlin, Urteil v. 29.3.2022, 6 U 125/19).
Gekippte Fenster – Dauer der Abwesenheit ist entscheidend
Grobe Fahrlässigkeit wird von der Rechtsprechung sehr häufig auch angenommen, wenn ein Wohnungsinhaber beim Verlassen der Wohnung das Fenster gekippt lässt. Im Falle eines Einbruchs drohen dann erhebliche Leistungskürzungen. Wie stark der Versicherer kürzen darf, hängt davon ab, wie leicht das gekippte Fenster für den Einbrecher zu erreichen war und wie lange der Wohnungsbesitzer abwesend war. So hat beispielsweise das OLG Saarbrücken es als grob fahrlässig angesehen, dass ein Kellerfenster für die Zeit eines zweiwöchigen Urlaubs bewusst gekippt gelassen worden war, um den Kellerraum besser zu belüften. Für den Versicherten günstiger könne die Situation nur bewertet werden, wenn er die Räume lediglich für kurze Zeit verlassen hatte oder wenn sich die Dauer seiner Abwesenheit unerwartet verlängert hat. In solchen Fällen müsse die Versicherung gegebenenfalls den Schaden trotz des gekippten Fensters bezahlen (OLG Saarbrücken, Urteil v. 4.6.2003, 5 U 670/02).