Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 95
Die nach nationalem deutschen Recht bisher herrschende Qualifizierung des Vorstands der AG und des Geschäftsführers der GmbH als Nichtarbeitnehmer mit der weiteren Folge, dass "normalerweise" Arbeitsrecht auf die Rechtsverhältnisse dieser Personen keine Anwendung findet, ist in jüngerer Zeit durch vor allem europäische Rechtsprechung in Bewegung gekommen. So hat der EuGH mit Urt. v. 11.11.2010 den Schutz von schwangerschaftsbedingter Diskriminierung auf die Vertretungsorgane von Kapitalgesellschaften erstreckt und die Gesellschaftsorgane bei gegebener hinreichender Weisungsabhängigkeit dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff unterstellt und ausgeführt, unter welchen Voraussetzungen der Kündigungsschutz schwangerer Arbeitnehmerinnen für die Vertretungsorgane von Kapitalgesellschaften gilt. Nach Ansicht des EuGH verstößt die Abberufung von der Geschäftsführerstellung (im zu entscheidenden Fall ging es um eine lettische Gesellschaft) gegen das Kündigungsverbot des Art. 10 der Richtlinie 92/85, wenn die Abberufung aus Gründen erfolgt, die wesentlich mit der Schwangerschaft zusammenhängen. In derartigen Fällen ist dann sowohl die Abberufung als auch die Kündigung der Geschäftsführerin rechtswidrig. Erfolgt die Abberufung aus Gründen, die nichts mit der Schwangerschaft zu tun haben, dann setzt Art. 10 der Richtlinie 92/85 nach Auffassung des EuGH voraus, dass der Kündigende schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführt. Dabei begründet der EuGH das Abberufungsverbot wegen einer Schwangerschaft auch mit einem Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts. Zum Diskriminierungsschutz von Geschäftsführern einer GmbH hat sich zwischenzeitlich auch der BGH geäußert. In seiner Entscheidung vom 23.4.2012 bestätigt der BGH die Anwendbarkeit des AGG auf den Geschäftsführer einer GmbH.
Rz. 96
Diese Rechtsprechung des EuGH ist zwischenzeitlich mit der sog. Balkaya-Entscheidung ergänzt. Der Aspekt, dass Mitglieder einer Unternehmensleitung, die entgeltliche Leistungen für die Gesellschaft erbringen, für die sie bestellt und in die sie eingegliedert sind und ihre Tätigkeit nach Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs ausüben und jederzeit von ihrem Amt abberufen werden können, Arbeitnehmer (zumindest im unionsrechtlichen Sinne) sind, wurde bestätigt. Im dortigen Fall ging es um die Frage der Anwendung der Regelungen bei Massenentlassungen, mit der Folge, dass jedenfalls (Fremd)Geschäftsführer einer GmbH auch deutschrechtlich im Anwendungsbereich des § 17 KSchG zu berücksichtigen sind.
Dagegen hat der EuGH in der Holtermann-Entscheidung ein Unterordnungsverhältnis abgelehnt, sofern der Geschäftsführer als Anteilseigner auf die Willensbildung des Verwaltungsorgans der Gesellschaft Einfluss nehmen könne. In der Bosworth and Hurely-Entscheidung hat der EuGH ein Unterordnungsverhältnis abgelehnt, wenn die betreffende Person die Bedingungen des Vertrags selbst bestimmen könne oder tatsächlich bestimme und die Kontrolle und Autonomie in Bezug auf das Tagesgeschäft der Gesellschaft sowie die Durchführung ihrer eigenen Aufgaben besitze; dies gelte auch dann, wenn der oder die Anteilseigner der Gesellschaft den Vertrag beenden können.
Rz. 97
Diese Rechtsprechung hat eine intensive Diskussion über die Arbeitnehmereigenschaft von Organmitgliedern und die damit zusammenhängenden Rechtsfragen angestoßen. Teilweise werden dabei GmbH-Geschäftsführer als Arbeitnehmer qualifiziert, Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft allerdings (bisher überwiegend noch) nicht. Die weitere Entwicklung in dieser Hinsicht wird abzuwarten bleiben. Fest steht jedoch, dass sich für die Vertreter von (Fremd-)Vorständen und (Fremd-)Geschäftsführern die (taktische) Argumentationsbasis deutlich verbreitert hat. Zu weiteren Einzelheiten und möglichen (arbeitsrechtlichen) Folgerungen aus den aktuellen Urteilen und der aktuellen Diskussion sei auf die zitierten Rechtsprechungs- und Literaturstellen hingewiesen.