Rz. 200
Nach § 161 VVG ist bei einer Versicherung für den Todesfall der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn die versicherte Person sich vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Versicherungsvertrags vorsätzlich selbst getötet hat. Der Versicherer hat in diesem Fall – soweit vorhanden – den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 VVG zu erstatten (§ 161 Abs. 3 VVG). Der Versicherungsschutz bleibt in der vereinbarten Höhe bestehen, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen wurde (§ 161 Abs. 1 S. 2 VVG). Es handelt sich um einen objektiven Risikoausschluss. Eine Verkürzung der Ausschlussfrist oder der Verzicht auf die Ausschlussklausel ist gem. § 171 VVG zulässig, da es sich um eine Vereinbarung zugunsten des Versicherungsnehmers handelt. Gemäß § 161 Abs. 2 VVG kann die Dreijahresfrist durch Einzelvereinbarung erhöht werden. Hierdurch soll dem Versicherer ein Handlungsspielraum in Sonderfällen mit sehr hohen Versicherungssummen erhalten bleiben.
Rz. 201
Gemäß § 5 Abs. 3 der Musterbedingungen des GDV für die Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung (Stand: 28.4.2021) gelten die vorgenannten Regelungen bei einer die Leistungspflicht des Versicherers erweiternden Änderung oder bei einer Wiederherstellung der Versicherung entsprechend. Die Dreijahresfrist beginnt mit der Änderung oder Wiederherstellung der Versicherung bezüglich des geänderten oder wiederhergestellten Teils neu zu laufen. Im Rahmen seiner während der Vertragslaufzeit bestehenden Beratungspflicht (§ 6 Abs. 4 VVG) ist der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer auf diesen Umstand hinzuweisen.
Rz. 202
Eine Selbsttötung i.S.d. § 161 VVG ist jede Handlung der zivilrechtlich verantwortlichen versicherten Person, die in der Absicht ausgeführt wird, sich den Tod zu geben. Eine Selbsttötung ist darüber hinaus auch im Falle der mittelbaren Selbsttötung durch einen Dritten auf Wunsch der getöteten versicherten Person gegeben. Gleiches muss gelten, wenn nach gemeinsamem Beschluss mehrere Personen sterben, von denen nur einer der Täter ist.
Rz. 203
Die Selbsttötung muss durch die versicherte Person vorsätzlich begangen worden sein; Fahrlässigkeit genügt nicht. Es besteht daher z.B. Versicherungsschutz, wenn die versicherte Person nach fehlgeschlagenen Schussversuchen davon ausgeht, auch bei einem weiteren Versuch werde sich kein Schuss lösen. An einem Vorsatz soll es auch fehlen, wenn die versicherte Person nicht sterben, sondern von Dritten an der Ausführung der Tat gehindert oder gerettet werden will. Zweifelhaft ist, ob bedingter Vorsatz genügt.
Rz. 204
Die Beweislast für eine Selbsttötung liegt beim Versicherer. Dabei sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nicht anwendbar. Es fehlt an einem typischen Geschehensablauf, da der Freitod eines Menschen von seinen besonderen Lebensumständen, seiner Persönlichkeitsstruktur, seiner augenblicklichen Gemütslage, insbesondere auch von seiner subjektiven Sicht der Situation abhängig ist. Der Nachweis der Selbsttötung muss demzufolge nach den Regeln des Strengbeweises erbracht werden. Der Beweis wird in der Regel nur durch Indizien geführt werden können. Für eine Überzeugung nach den Regeln des Strengbeweises bedarf es keiner unumstößlichen Gewissheit. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Rz. 205
Folgende Beispielsfälle für eine vorsätzliche Selbsttötung i.S.d. § 161 VVG können genannt werden: Kopfschuss mit Gewehr durch waffengeübte Person, aufgesetzter Kopfschuss, Erhängen ohne Fremdeinwirkung, Sturz aus größerer Höhe aus dem Fenster und Unfall ausgeschlossen, Verbrennen im Auto nach Kauf kleinerer Benzinmenge und vorangegangenem Selbsttötungsversuch, Auffahren auf eine Mauer und Vorliegen eines Abschiedsbriefs, Überfahren durch Zug bei Auflage der rechten Halsseite des Getöteten unmittelbar auf dem Schienenstrang, Schwerkranker trinkt erhebliche Menge Alkohol und es finden sich leere Verpackungen von 70 Tabletten eines in dieser Menge tödlichen Medikaments, Umkommen durch Autoabgase in der Garage, Überfahrenlassen durch Zug, Selbstmord durch Erhängen; Fahrt von 1,5 Stunden ohne plausiblen Grund zu einer 130 m hohen Autobahnbrücke, von der schon viele Personen in die Tiefe gesprungen sind, und Sturz in die Tiefe; Überfahren durch Zug 500 m vom Bahnhof und 200 m von jeder Straße entfernt auf gerade verlaufender Gleisstrecke nachts nach 3 Uhr ohne Abschiedsbrief; Selbstmord durch Erhängen in geschlossener Wohnung bei vorheriger Ankündigung durch SMS und nachvollziehbarem Motiv (Trennung vom Ehepartner und Selbsttötung des Bruders).
Rz. 206
Dagegen wurde in folgenden Fällen eine Selbsttötung i.S.d. § 161 VVG nicht (ohne weiteres) als be...