Rz. 157
Ein Versicherer kann dem Versicherungsnehmer bis zur Höhe des Rückkaufswertes (§ 169 VVG) eine sog. Vorauszahlung (auch Policendarlehen genannt) auf die Versicherungsleistung gewähren. In der Vergangenheit wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem Policendarlehen nicht um ein Darlehen i.S.d. seinerzeit geltenden § 607 BGB a.F. handelt. Demgegenüber geht die aktuelle Literatur überwiegend davon aus, dass es sich bei einer Vorauszahlung in Geld um ein Darlehen i.S.d. § 488 BGB handelt. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Die Gewährung einer Vorauszahlung durch den Versicherer erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 488 BGB. Der Versicherer verpflichtet sich, einen Geldbetrag in vereinbarter Höhe zur Verfügung zu stellen und der Versicherungsnehmer verpflichtet sich, den geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuerstatten. Soweit keine vorzeitige Rückzahlung der Vorauszahlung durch den Versicherungsnehmer erfolgt, verrechnet der Versicherer die Forderung gegen den Versicherungsnehmer auf Rückzahlung der Vorauszahlung bei Fälligkeit der Versicherungsleistung mit dieser. Gegen die Einstufung der Vorauszahlung als Darlehen i.S.d. § 488 BGB spricht auch nicht, dass die Vorauszahlung nur bis maximal zur Höhe des Rückkaufswertes gewährt wird. Diese Begrenzung folgt vielmehr unmittelbar aus den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen. Denn bei Vergabe einer Vorauszahlung, die über den Rückkaufswert des Lebensversicherungsvertrags hinausgeht, fehlt der Bezug zum Versicherungsvertrag, so dass eine solche Vorauszahlung als versicherungsfremdes Geschäft i.S.d. § 15 Abs. 1 VAG angesehen werden muss. Bei der fondsgebundenen Lebens- oder Rentenversicherung erfolgt die Vorauszahlung regelmäßig in Form von Wertpapieren oder Fondsanteilen, so dass es sich bei der Vorauszahlung um ein Sachdarlehen i.S.d. § 607 BGB handelt.
Rz. 158
Rz. 159
Beachte
Dem Versicherungsnehmer steht bezogen auf das Policendarlehen ein 14-tägiges Widerrufsrecht nach §§ 495, 355 BGB zu. Darüber hinaus hat der Versicherer bei einem Policendarlehen die vorvertraglichen Informationspflichten nach § 491a BGB i.V.m. Art. 247 EGBGB zu erfüllen.
Rz. 160
Beachte
Der Verzug mit der Zahlung der Zinsen für eine Vorauszahlung löst nicht die Rechtsfolgen des § 38 VVG aus. Soweit die Verzugsregelung des § 38 VVG über eine Klausel in den Versicherungsbedingungen auf Vorauszahlungszinsen sinngemäß anzuwenden ist, ist eine derartige Regelung wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Der Versicherer kann das Bestehen weiteren Versicherungsschutzes also nicht vom Verzug des Versicherungsnehmers mit Zinszahlungen für die Vorauszahlung abhängig machen. Rückständige Vorauszahlungszinsen müssen vom Versicherer selbstständig entweder über die Aufrechnung oder auf dem Klageweg geltend gemacht werden. Zu beachten ist dabei, dass die notwendige Aufrechnungslage erst bei Fälligkeit des Anspruchs auf die Versicherungsleistung bzw. des Anspruchs auf den Rückkaufswert besteht.
Rz. 161
Hinsichtlich der Höhe der Vorauszahlungszinsen wird regelmäßig eine Zinsanpassungsklausel vereinbart. Eine solche Klausel ist dann AGB-rechtlich zulässig, wenn sie Voraussetzungen und Ausmaß einer möglichen Zinsänderung durch eine transparente Bezugnahme auf relevante Parameter deutlich macht und eine Verpflichtung zur Herabsetzung des Zinsniveaus bei sinkenden Zinsen enthält.
Rz. 162
Es besteht kein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Vorauszahlung. Soweit die Versicherer die Vorauszahlung in ihren Bedingungen geregelt haben, muss ein solcher ausdrücklich ausgeschlossen werden. Auf diese Weise soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass der Versicherer bei massenhaften Wünschen nach Vorauszahlungen Vermögensanlagen mit Verlust veräußern muss, um die erforderliche Liquidität zu erhalten.