Rz. 114
Ist der Vertrag zustande gekommen, kann sich weiter die Frage nach dessen Inhalt stellen. Grundsätzlich bestimmt sich der Inhalt des Vertrages nach den übereinstimmenden Erklärungen der Vertragsparteien. Eine Annahmeerklärung unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag (§ 150 Abs. 2 BGB).
Rz. 115
Im Versicherungsvertragsrecht existiert jedoch insoweit die den Versicherer privilegierende Sondervorschrift des § 5 Abs. 1 VVG. Danach gilt eine Abweichung des Inhalts des Versicherungsscheins vom Antrag oder den getroffenen Vereinbarungen als durch den Versicherungsnehmer genehmigt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Empfang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Diese Genehmigung ist bei einer den Versicherungsnehmer benachteiligenden Abweichung nach § 5 Abs. 2 VVG nur bei ordnungsgemäßem Hinweis des Versicherers bei Aushändigung des Versicherungsscheins anzunehmen. Ist ein solcher Hinweis nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgt, so ist die Abweichung für den Versicherungsnehmer unverbindlich und der Inhalt des Versicherungsantrags insoweit als vereinbart anzunehmen (§ 5 Abs. 3 VVG). Bei einer für den Versicherungsnehmer günstigen Abweichung findet nach Auffassung des BGH nur § 5 Abs. 1 VVG Anwendung, nicht hingegen § 5 Abs. 2 und Abs. 3 VVG. Damit käme der Versicherungsvertrag bei einer für den Versicherungsnehmer günstigen Abweichung nach Ablauf der Widerspruchsfrist von einem Monat auch dann zustande, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer nicht über dessen Widerspruchsrecht belehrt und die Abweichungen nicht im Versicherungsschein kenntlich gemacht hat. Dem ist nach hier vertretener Auffassung nicht zu folgen. § 5 VVG findet nur bei einer für den Versicherungsnehmer ungünstigen Abweichung des Versicherungsscheins vom Antrag Anwendung. Bei einer für den Versicherungsnehmer günstigen Abweichung des Versicherungsscheins vom Antrag gilt § 150 BGB, wobei in dem Schweigen des Versicherungsnehmers eine konkludente Annahme des Änderungsangebots zu sehen ist.
Rz. 116
§ 5 VVG soll dann ebenfalls anwendbar sein, wenn der Versicherungsnehmer eine befristete Prämienfreistellung beantragt und der Versicherer daraufhin einen Nachtragsversicherungsschein übersendet, in dem eine unbefristete Prämienfreistellung mit entsprechender Herabsetzung der Versicherungssumme dokumentiert ist, wenn vor Wiederinkraftsetzung des Vertrages eine Gesundheitsprüfung erforderlich ist.
Rz. 117
§ 5 VVG erfasst nur vertragliche Regelungen innerhalb des Versicherungsverhältnisses, nicht dagegen einseitig zu treffende Bestimmungen durch den Versicherungsnehmer, wie z.B. die Einräumung eines Bezugsrechts.
Rz. 118
Beachte
Wie sich bereits aus § 5 Abs. 4 VVG ergibt, ist bei Genehmigung der Abweichung durch den Versicherungsnehmer, z.B. durch Verstreichenlassen der Widerspruchsfrist, die Möglichkeit der Anfechtung wegen Irrtums nicht ausgeschlossen (§ 119 BGB). Das Anfechtungsrecht wird regelmäßig jedoch gem. § 144 BGB durch Zahlung der ersten oder einmaligen Prämie verloren gehen.
Rz. 119
In der Lebensversicherung kommen Abweichungen vom Antrag regelmäßig vor, wenn sich aufgrund von Rundungsdifferenzen eine andere als im Antrag angegebene Prämie oder Versicherungssumme ergibt. Weiterhin üblich und bedeutsamer sind Abweichungen, die darauf beruhen, dass der Versicherer nach Risikoprüfung nur gegen Prämienzuschlag oder unter Ausschluss des Versicherungsschutzes für bestimmte Risiken zur Übernahme des Versicherungsschutzes bereit ist. Derartige Abweichungen beziehen sich häufig auf die in eine Lebensversicherung eingeschlossene Erwerbs-/Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.
Rz. 120
Bezogen auf die reine Lebensversicherung ist streitig, ob eine Abweichung vorliegt, wenn der Antrag eine bezifferte Versicherungssumme enthält und gleichzeitig auf einen bestimmten Tarif Bezug nimmt, der im Antrag nicht erläutert ist und aus dem sich nicht ergibt, dass er für den Erlebensfall nur die Zahlung der halben Versicherungssumme vorsieht, während im Versicherungsschein auf den genauen Inhalt dieses Tarifs hingewiesen wird. Es wird die Auffassung vertreten, dass von einer Abweichung auszugehen ist, wenn im Antrag nur eine Versicherungssumme eingetragen ist. Dies sei aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers so auszulegen, dass zwischen Erlebens- und Todesfall nicht unterschieden werde. Diese Auffassung ist zumindest für den Fall abzulehnen, dass der Antrag neben der bestimmten bezifferten Versicherungssumme einen konkreten Lebensversicherungstarif mittels einer Tarifkennziffer bezeichnet, der eine solche Unterscheidung trifft, und auf einer angehefteten Beilage (oder der Antragsrückseite) der Inhalt dieses Tarifs näher erläutert wird. Der Versicherungsvertrag kommt dann mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande, da der Versicherungsschein nicht vom Inhalt des Antrags abweicht. Ob der Versi...