Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 177
Die ehebedingten Nachteile sind ein wesentliches, aber nicht das einzige Kriterium für die vorzunehmende Billigkeitsabwägung, denn das Gesetz spricht nur "insbesondere" von den ehebedingten Nachteilen. Daher können auch andere Gesichtspunkte mit in die Billigkeitsabwägungen einfließen. Hier spielt die nacheheliche Solidarität die entscheidende Rolle.
Rz. 178
Praxistipp:
Es geht um die Abwägung der beiderseitigen Zumutbarkeit einer fortdauernden, unbefristeten Unterhaltsverpflichtung. Dabei stellen sich die folgenden Fragen
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Wie dringend ist die Unterhaltsberechtigte neben ihren eigenen Einkünften auf die fortdauernde Leistung des Unterhaltes angewiesen? |
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Wie stark wird der Unterhaltspflichtige auch unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten durch diese fortdauernden Unterhaltszahlungen belastet? |
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.6.2020 – 20 UF 83/19
Zitat
Hat die Berechtigte während der Ehezeit (hier: rund 18 Jahre) die Erwerbstätigkeit eingeschränkt und die Betreuung der Kinder übernommen, ist aber durch diese Rollenverteilung in der Ehe keine erhebliche wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Ehegatten eingetreten, weil der Unterhaltsgläubiger nachehelich in der Lage ist, an seinen vorehelichen Lebensstandard anzuknüpfen, gebietet die nacheheliche Solidarität lediglich eine zeitlich begrenzte Sicherstellung eines an den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhalts (hier: für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren).
a) Bedeutung der gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen Situation der Eheleute
Rz. 179
Die wirtschaftliche Situation beider Ehegatten kann bei der Billigkeitsabwägung des § 1578b Abs. 2 BGB nicht ausgeklammert werden, da es um die Abwägung der beiderseitigen Zumutbarkeit einer fortdauernden, unbefristeten Unterhaltsverpflichtung geht.
Rz. 180
Praxistipp:
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Die eigene Einkommens- und Vermögenslage, die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten und das Ergebnis des Versorgungsausgleichs haben also auf diese Weise mittelbar auch Auswirkungen auf den Unterhaltsanspruch. |
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Bei Vereinbarungen zwischen den Eheleuten über die abschließende Vermögensregelung zur Scheidung sollten diese mittelbaren Konsequenzen bedacht und ggf. ausdrücklich und verbindlich geregelt werden, um spätere Auslegungsprobleme und Streitigkeiten zu vermeiden. |
Rz. 181
OLG Köln, Beschl. v. 16.3.2021 – 14 UF 196/19
Zitat
Zu berücksichtigen sind nicht, wie der Antragsteller meint, Ansprüche der Antragsgegnerin gegen den Antragsteller auf Zugewinnausgleich. Eine Berücksichtigung entsprechender Ansprüche scheidet zwar dem Grunde nach nicht aus. Jedoch ist vorliegend nichts dazu vorgetragen, dass und in welcher Höhe der Antragsgegnerin Zugewinnausgleichsansprüche zustehen, so dass diese schon deshalb vorliegend keine Berücksichtigung finden können.
BGH, Beschl. v. 13.11.2019 – XII ZB 3/19 Rn 53
Zitat
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(2) Das Oberlandesgericht hat die für und gegen eine Befristung sprechende Gründe abgewogen und ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass eine solche ab Renteneintritt der Ehefrau gerechtfertigt sei. Das ist selbst vor dem Hintergrund der langen Ehedauer von rund 25 Jahren im Ausgangspunkt vertretbar. Als Gründe für eine Befristung hat das OLG den Umstand herangezogen, dass die Ehefrau trotz der familienbedingten Pause ihre Tätigkeit bei ihrem früheren Dienstherrn ohne Schwierigkeiten habe fortsetzen können. Ferner hat es für die Befristung auf die Dauer der vom Ehemann bisher erbrachten Unterhaltsleistungen von rund 18 Jahren und die Länge der zwischen der Scheidung und dem – von ihm angesetzten – Befristungsende verstrichene Zeit von 14 Jahren abgestellt. Letztlich sei eine Entflechtung der persönlichen Verhältnisse eingetreten. Im Übrigen hat es ausgeführt, die infolge der Ehe und deren Ausrichtung allein an den beruflichen Erfordernissen des Ehemanns – verglichen mit denen bei ununterbrochener Vollzeittätigkeit als Finanzbeamtin – geringeren Versorgungsanwartschaften der Ehefrau seien bis zum Ende der Ehezeit durch den Versorgungsausgleich und für die Zeit danach durch den vom Ehemann gezahlten Altersvorsorgeunterhalt ausgeglichen.
BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17
Zitat
§ 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei d...